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Russland

Nicht alle lassen sich den Mund verbieten

Während Putins Umfragewerte stabil hoch bleiben, mehrt sich – wenn auch verhalten – Kritik

Manuela Rosenthal-Kappi
19.07.2022

Obwohl Russlands Präsident Putin und seine Gefolgsleute mit brachialer Gewalt Kritiker an seiner „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine verfolgen, gibt es dennoch mutige Russen, die – wenn auch verhalten – ihre Kritik äußern.

Auffällig ist, dass selbst Kreml-treue Medien nach dem kürzlich durchgeführten St. Petersburger Wirtschaftsforum, an dem nur noch russlandfreundliche Staaten teilnahmen, zu vernichtenden Urteilen über Putins Auftritt kamen. Die wirtschaftspolitische Grundsatzrede des Präsidenten bezeichnete etwa der „Moskowskij Komsomolez“ („MK“) als enttäuschend, da der Kremlherr außer Floskeln nichts zu bieten habe. MK-Kolumnist Michail Ros-towskij warf Putin vor, sich in ein Paralleluniversum geflüchtet zu haben, da er beispielsweise behauptete, die rasante Inflation habe nichts mit seinem Angriffskrieg zu tun: „Es scheint mir, dass er tatsächlich nicht versteht, dass andere nicht sehen können, was er sieht,“ so der Journalist. Die „Komsomolskaja Prawda“ ließ es sich nicht nehmen zu betonen, dass Putin vor leeren Stühlen gesprochen habe.

Die Wirtschaftszeitung „Kommersant“ berichtete über die bisherigen Erfolge bei der Importsubstitution, die russische Wirtschaftsexperten für sehr begrenzt hielten. Zum einen, weil die Preise für heimische Produkte zu hoch seien, zum anderen, weil Staaten wie China Sekundärsanktionen des Westens befürchteten, wenn sie Russland beliefern.

Ein noch vernichtenderes Urteil fällte die „Nesawissimaja gazeta“ („NG“), die in den vergangenen Jahren ziemlich „weichgespült“ zu sein schien. Die „NG“ kritisierte, dass das Motiv für Putins Vorgehen in der Ukraine „nebelhaft und zweideutig“ sei. Der Regierung wirft das Blatt vor, dass das Realeinkommen in den vergangenen Jahren trotz der hohen Staatseinnahmen durch Energieexporte gesunken sei. Ein magerer Anstieg des Bruttoinlandprodukts in den kommenden Jahren dürfe für den Bau von Wohnungen und Infrastruktur in den kriegszerstörten Orten im Donbass und anderen Gebieten der Ukraine draufgehen, prophezeit das Blatt. Dass Putin nach wie vor hohe Zustimmungswerte in Umfragen erziele, liege daran, dass er die vorherrschenden Emotionen der Russen kontrolliere.

Widersprüchliche Politik

Wie widersprüchlich Putins Politik ist, zeigt sich auch am Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen. Vor wenigen Tagen erst hat Putin ein Dekret erlassen, das neben Ukrainern aus den Separatistengebieten Donbass und Lugansk auch Flüchtlingen der Regionen Saporischja und Cherson den Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft erleichtern soll. In der Praxis sehen sich die Flüchtlinge in der Regel jedoch mit bürokratischen Hürden und einer schlechten Versorgung konfrontiert. Der Anreiz, in Russland zu bleiben, ist daher gering. Die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Flüchtlinge zieht es in die EU. Von geschätzten sieben Millionen Flüchtlingen verschlug es bisher zirka anderthalb bis zwei Millionen nach Russland, der Rest hat sich auf die Aufnahmeländer der EU verteilt.

Zu denen, die sich nicht den Mund verbieten lassen, zählt Swetlana Gannuschkina, Leiterin der Flüchtlingsorganisation Bürgerunterstützung und des Netzwerks „Migration und Recht“. Sie ist eine erklärte Gegnerin Putins. Die seit über 30 Jahren bestehende Menschenrechtsorganisation Bürgerunterstützung ist inzwischen als „Ausländischer Agent“ eingestuft.

Die ehemalige Mathematikprofessorin an der Lomonossow-Universität sprach in einem Interview mit „Lenta.ru“ über die Probleme der ukrainischen Flüchtlinge in Russland, von denen die meisten sich in den Gebieten Rostow, Kursk und Samara aufhalten. Von denen, die nach Russland gekommen seien, seien die wenigsten freiwillig gekommen, so Gannuschkina. Busse wurden eingesetzt, um die Bevölkerung zu evakuieren, und in ihrer Not hätten die meisten erst einmal zugestimmt. Dennoch wollten die meisten in Russland bleiben, da es keine Sprachbarriere gibt. Viele hätten auch Freunde und Verwandte in Russland, die bereit seien, sie aufzunehmen. Etwa ein Zehntel zöge es weiter in die EU.

Die materielle Versorgung der Flüchtlinge gestalte sich schwierig. Zwar hatte der Staat zugesagt, jedem Flüchtling umgerechnet rund 170 Euro auszuzahlen, doch das sei eine unendlich langwierige Prozedur. Die Menschen benötigten jedoch Geld. Zwar erhielten sie in den vorläufigen Flüchtlingsunterkünften das Notwendigste, aber persönliche Bedürfnisse, insbesondere Mittel für spezielle Diäten oder Medikamente, müssten sie selbst aufbringen. Viele Spenden kämen von Stiftungen und Privatleuten, die nicht selten für ihr Engagement unter Druck gerieten. Nachteile befürchteten auch Arbeitgeber, wenn sie Ukrainer beschäftigen. Deshalb erhielten selbst gesuchte Fachkräfte häufig Absagen, wenn sie keine russischen Staatsbürger seien, so Gannuschkina.

Eine Legalisierung ist für Ukrainer nur über zwei Wege möglich: entweder über einen zeitlich begrenzten Flüchtlingsstatus oder einen begrenzten Aufenthaltstitel. Vieles sei unklar, beklagt die Menschenrechtsaktivistin. Vom russischen Staat fordert sie, dass dieser seiner Pflicht nachkomme und die ukrainischen Flüchtlinge legalisiere und sich an eigenen Gesetze halte.


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Kommentare

Eric Boule am 22.07.22, 08:17 Uhr

In alternativmedien habe ich eine andere Version gelesen+weil EU zensuriert glaube ich die andere Version.Das Sprichwort besagt:Wer zensuriert wie die EU russ. Medien hat etwas zu verbergen+spricht nicht die Wahrheit.

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