15.09.2025

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Für den Job muss man fit sein: Seelotse Jens Mauksch ist vom Frachter abgestiegen
Bild: Schmidt-WaltherFür den Job muss man fit sein: Seelotse Jens Mauksch ist vom Frachter abgestiegen

Ostsee

Nicht nur Gips für Europa

Lotsen sorgen für die reibungslose Passage der Schiffe zu den Häfen und an Gefahrenstellen vorbei

Peer Schmidt-Walther
15.09.2025

Schauplatz Südhafen: Seelotse Jens Mauksch aus Devin, seit 23 Jahren im Geschäft und früherer Hochseefischer aus Rostock, stakt durch die regenglitschigen Gipsreste auf der Pier am Schiff entlang und liest an Heck und Steven des Frachters die Tiefgänge ab. „Na ja“, meint der erfahrene Seemann, „geht so“. Plötzlich rollt der schwere bordeigene Bagger auf Schienen Richtung Vorschiff. „Um durch die Gewichtsverlagerung den Tiefgang von achtern nach vorn auszugleichen“, erklärt Mauksch.

Kurze Begrüßung – ohne Handschlag – auf der Brücke. Der norwegische Kapitän und sein Zweiter Offizier geben kurz Auskunft über Schiff und Zielhafen, wie das so üblich ist. „Mit 5800 Tonnen Gips nach Drammen“, informiert der Kapitän. Während Mauksch ihm die Situation im Fahrwasser erklärt, startet der Zweite die Kaffeemaschine. Kaffeeduft verdrängt allmählich Tabakgeruch. „Stralsunder Gold im Bauch“, grinst Mauksch und ergänzt: „Gips ist mit über 700.000 Jahrestonnen das Umschlags-Standbein des Seehafens.“

Mehrmals die Woche rollt ein 1200-Tonnen-Zug aus Jänschwalde bei Cottbus in den Nord- oder Südhafen. Seit 2000 ist der gelbe Stoff ein europaweit begehrtes Nebenprodukt der Rauchgaswäsche in dem Spreewälder Kraftwerk. Daraus werden europaweit Gipskartonplatten für den Trockenbau hergestellt.

Fit für hohe Belastungen
Noch ist Zeit für einen Plausch, bevor die 28-Seemeilen-Revierfahrt durch die Ostansteuerung beginnt. „Da drüben“, zeigt Mauksch über die Ziegelgraben- und Rügenbrücke hinweg, „wurde ich 1963 geboren, genauer gesagt in Bergen“. Zehn Jahre schuftete er unter härtesten Bedingungen in der Rostocker Hochseefischerei, wurde Matrose und Netzmacher. Doch er wollte weiter und paukte von 1992 bis 94 für das Steuermanns-Patent in mittlerer Fahrt, dann noch einmal zwei Jahre an der Hochschule für Nautik in Elsfleth.

Mit dem Patent für große Fahrt arbeitete er drei Jahre als Steuermann auf Containerschiffen und wurde schließlich 1999 zum Kapitän ernannt. Doch er wollte unbedingt Seelotse werden, sammelte seit 2001 Erfahrungen als Aspirant in Begleitung eines „fertigen“ Kollegen und bekam 2002 die offizielle Bestallung eines Seelotsen im Revier Wismar-Rostock-Stralsund (WiRoSt).

Der Kapitän schaut jetzt auf die Brückenuhr: „Let's go!“, gibt er locker das Kommando. Über Walkie-Talkie verständigt er „seine Jungs“ unten an den Winden. Auf der Pier streift Schiffsmakler Torsten Müller von TM-Shipping die Leinen von den Pollern. Kurzer Gruß auf die Brücke: „Alles klar!“ Schwerfällig löst sich der voll abgeladene 114 Meter lange, 15 Meter breite norwegische 6000-Tonner von der Pier. Der Kapitän bewegt den Frachter nur mit dem Joystick, einem fingergroßen Hebel. Mauksch gibt ihm dazu laufend seine Anweisungen wie „port 20!“, „midships!“, „hard port!“ oder „starbord 10“. Bis der Steven die Ziegelgrabenrinne genau voraus hat.

Ganz langsam nimmt der Frachter Fahrt auf. Die Stralsund-Kulisse schrumpft mit dem Abstand, bis sie hinter Devin ganz verschwindet. Dort wohnt er mit seiner Frau, ist begeisterter Hobby-Biker und Tischtennisspieler im SV Medizin Stralsund von 1953. „So halt ich mich fit“, lacht er, denn die Belastungen der Lotsen sind hoch. Physisch gesehen insofern, als wir häufig bei Sturm und hohem Seegang auf den Lotsenbooten kräftig durchgeschüttelt werden und der ganze Körper zugleich dagegen „arbeiten“ muss.

Das Klettern auf einer bis zu neun Meter langen Lotsentreppe an einer nassen Bordwand erfordert uneingeschränkte Gesundheit, Kraft und Geschicklichkeit. Dazu manchmal noch ein schweißtreibender Fußmarsch durch –zig Decks bis auf die Brücke, wonach man sofort präsent sein muss.

Systemrelevanter Knochenjob
Die Seeberufsgenossenschaft ordert den Lotsendienst nicht umsonst als „gefahrgeneigte Tätigkeit“ ein. Im Winter bei Eis und Schnee sowie bei Nacht und Nebel wird das besonders deutlich. „Manch ein Kollege verlor dabei sogar sein Leben“, berichtet Mauksch, „im psychischen Bereich nervt das Warten auf den Abruf. Man weiß nie, wann der nächste Anruf und was für ein Schiff da auf einen zukommt. Darunter sind leider auch Schiffe, mit denen ich jedenfalls nicht raus auf See fahren würde. Dies alles vor dem Hintergrund von 263 Arbeitstagen im Jahr mit einem ständigen Dienst- und Bereitschaftssystem – 24 Stunden am Tag und natürlich auch an Sonn- und Feiertagen bei fluktuierender Schifffahrt.“ Ein echter Knochenjob und damals unter Corona-Aspekt als „systemrelevant“ eingestuft.

Jens Mauksch schaltet jetzt das Echolot ein, um zu sehen, wo es „patches“ gebe, wie er die Sandhügel in der Fahrrinne nennt, die durch seitliche Rutschungen entstehen. Das Gerät zeigt 2,50 Meter und mehr unterm Kiel an. „Kein Problem“, strahlt der Berater der Schiffsführung beruhigt, „wenn du Mitte Bach steuerst und mit maximal acht Knoten fährst.“ Man dürfe nur nicht an die Flanken kommen, „da wird's dann problematisch und man kann sich festfahren“. Selbst in der als kritisch eingestuften Palmerort-Rinne am Ausgang in den Greifswalder Bodden und im Landtief-Fahrwasser südöstlich von Thiessow auf Rügen meldet das Echolot noch 1,50 Meter unterm Kiel. „Selten ist außerdem eine Begegnungssituation unter großen Schiffen“, weiß Mauksch aus seiner langjährigen Revier-Erfahrung.

Nach dreieinhalb Stunden und 28 Seemeilen kommt das Freester Lotsenboot längsseits. Wir wünschen dem Kapitän und seiner siebenköpfigen Crew gute Reise nach Norwegen und hoffen: „Bis zum nächsten Mal in Stralsund, aber gesund!“ Aktuell brachte Mauksch gerade die „Disney Adventure“ nach Saßnitz zum Treibstoff bunkern. Kreuzfahrer zu lotsen, sagt er, ist stets etwas Besonderes.

In ganz Deutschland sorgen 800 Lotsen für die sichere Fahrt auf Nord- und Ostsee. Sie verteilen sich auf neun Lotsreviere. Davon gibt es sechs an der Ostsee. Die Lotsenbrüderschaft WismarRostockStralsund (WiRoSt) zählt 34 Lotsen. Für Stralsund und Umgebung, Reichweite von Hiddensee, Rügen bis ins Stettiner Haff mit Ückermünde, sind zehn Lotsen zuständig.


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