29.01.2025

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Ludwig Nissen

„Nie entschläft – wer einmal wach gelebt“

Der gebürtige Husumer stiftete seiner Geburtsstadt das „Nordfriesland-Museum. Nissenhaus“ – Vor 100 Jahren starb er in New York

Ute Eichler
25.10.2024

Auch in Kreisen Kunstinteressierter ist wenig bekannt, dass sich die größte private Sammlung nordamerikanischer Maler des 19. Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent in der Theodor-Storm-Stadt Husum befindet. Wie kam es dazu?

Wer die seit Sommer 2023 im Nordfriesland Museum gezeigte und bis vor wenigen Wochen geöffnete Ausstellung „Durchlaucht lässt bitten ... Prinzessin Vilma Lwoff-Parlaghy ­– Porträtmalerin der New Yorker Society“ besucht hat, konnte erfahren, dass „die Malerfürstin“ auch den Stifter des Museumsbaus, Ludwig Nissen, porträtiert hat. Lwoff-Parlaghy starb 1923 im Alter von 60 Jahren. Nissen ersteigerte aus ihrem Nachlass eine umfangreiche Zahl von Kunstwerken.

Als Ludwig Nissen am 26. Oktober 1924 an einer Lungenentzündung verstarb, waren seine testamentarischen Verfügungen eindeutig und mit Zustimmung seiner Ehefrau festgelegt. Diese war 1922 von Lwoff-Parlaghy porträtiert worden.

Vom Tellerwäscher zum Millionär
Nissen war am 2. Dezember 1855 als sechstes Kind von Hans Nissen, einem Husumer Reepschläger (Seiler), und dessen Ehefrau Lucie geborene Dawartz zur Welt gekommen. Von den insgesamt zehn Kindern des Ehepaares verstarben drei im Kindesalter und vier wanderten aus. Nissen begann nach acht Schuljahren eine Lehre als Schreiber im Amtsgericht Husum, das sich damals im Schloss vor Husum befand.

Als 16-Jähriger beschloss er, mit Zustimmung der Eltern, dem bereits drei Jahre zuvor nach New York ausgewanderten Bruder Fritz zu folgen. Dieser war zwar drei Jahre älter, konnte jedoch dem jüngeren Bruder die harte Schule, sich von ganz unten hochzuarbeiten, kaum erleichtern. So begann Ludwig Nissen in den ersten Jahren seines Lebens in New York als Schuhputzer und Tellerwäscher, dann als Kellner und Kassierer sowie im Schlachthof und als Gastwirt zu arbeiten. Er musste Verluste und Enttäuschungen einstecken. Mehrfach wurde er von Geschäftspartnern betrogen. Sein Ziel, Kaufmann zu werden, verlor er nicht aus dem Blick. 1879 erhielt Nissen die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

1881, im zehnten Jahr seines Lebens in New York, begann der geschäftliche Aufstieg. Zusammen mit dem aus Hamburg stammenden Diamantsetzer Fred Schilling gründete er die Firma Schilling & Nissen. Wenige Jahre später, ab 1885, führte er erfolgreich das Juweliergeschäft Ludwig Nissen & Company in der 5th Avenue. Er spezialisierte sich auf den Handel mit Diamanten und Perlen.

Ende 1882 hatte er die Ehe mit der 1862 geborenen Katharine (Kathy) Quick schließen können, deren Mutter aus der Schweiz stammte und deren Vater namens Schnell aus Darmstadt kam. Es blieb eine kinderlose Ehe. Kathy, die selbst mit Talent zeichnete, malte und Stickereien nach eigenen Entwürfen fertigte, begleitete ihren Mann auf seinen Geschäfts- und Europareisen vor dem Ersten Weltkrieg. Sie stattete mit ihm gemeinsam das repräsentative Landhaus aus, welches das Ehepaar ab 1908 in Brooklyn bewohnte. Während einer ihrer Aufgabenschwerpunkte Wohltätigkeit war, übernahm Ludwig Nissen zahlreiche Ämter. So wurde er Direktoriumsmitglied von Banken und Versicherungen.

Sein wirtschaftlicher Weitblick war gefragt, sein Rat wurde von Theodor Roosevelt, mit dem er befreundet war, und später von zwei weiteren US-Präsidenten, William Howard Taft und Calvin Coolidge geschätzt. Die Zahl der Ehrenämter, die er in drei Jahrzehnten ausübte, geht in die Dutzende.

Ab 1891 war Nissen Schatzmeister der Vereinigung New Yorker Juweliere, später ihr Vorsitzender. Nissen begründete die Jewelers Protective Association (JPA) – eine Vereinigung von Juwelieren gegen unfairen Wettbewerb und den Schmuggel von hochwertigem Schmuck aus Europa in die USA. Die JPA bezahlte spezielle Agenten, mit deren Hilfe die Möchtegern-Schmuggler dem Zoll gemeldet werden konnten. Im Jahr 1900 war er Schatzmeister der New Yorker Staatskommission für die Teilnahme an der Pariser Weltausstellung.

1915 entstand die erste Fassung seines Testaments, in dem es heißt: „Mein Haushalt ist ein historisches Dokument meines Lebens und der meiner Zeitgenossen.“

Urnen im Nissenhaus
48 Jahre nach seiner Auswanderung, 1920, besucht er zum ersten Mal wieder seine Geburtsstadt Husum. Die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs einhergehende und auch dort sichtbare Not versuchte er durch sofort veranlasste Hilfslieferungen zu lindern. Ein Jahr später war er wieder in Husum, und im Juli 1921 wurde öffentlich gemacht, was Nissen der Stadt zukommen lassen möchte: ein Gebäude, groß genug für ein Museum, eine Kunstsammlung, eine Bibliothek sowie Gemeinschafts- und Veranstaltungsräume. Ein Architekturwettbewerb wurde ausgeschrieben. Von den 118 Einsendungen wurden fünf prämiert. Die selbstständige Nissen-Stiftung verfügte aus seinem Nachlass über ein Kapital von 2,5 Millionen Mark. Als Kathy Nissen infolge eines Schlaganfalls 1930 starb, kamen 170.000 US-Dollar aus ihrem Nachlass hinzu.

Zwischen 1934 und 1937 entstand zentral gelegen in Husum nach Plänen von Georg Rieve das Ludwig-Nissen-Haus, damals als Museum und kulturellen Zwecken dienendes Volkshaus deklariert. Da jedoch von den USA ein Teil des Stiftungsvermögens eingefroren worden war, konnte der geplante Ostflügel erst 1986 gebaut werden. 2007 erfolgte die Wiedereröffnung des Museums nach Generalsanierung. Es heißt seitdem „Nordfriesland-Museum. Nissenhaus“.

Wer im architektonisch besonders gestalteten Eingangsbereich, der Rotunde, die Inschrift liest: „Nie entschläft – wer einmal wach gelebt“, der befindet sich dort, wo auch die Urnen mit der Asche des Stifterpaares Ludwig und Katharine Nissen ihren Platz bekommen haben.


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