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Screenshot einer ukrainischen Drohne, die gerade einen russischen Bomber auf dem Stützpunkt in Sibirien attackiert und zerstört. Bei dieser Operation wurde Russlands Bomberflotte empfindlich getroffen
Bild: picture alliance/Newscom|EyePress NewsScreenshot einer ukrainischen Drohne, die gerade einen russischen Bomber auf dem Stützpunkt in Sibirien attackiert und zerstört. Bei dieser Operation wurde Russlands Bomberflotte empfindlich getroffen

Ukrainischer Militärschlag

Operation „Spinnennetz“

Mit einer spektakulären Aktion zerstörten Drohnen der Ukraine ein Zehntel der russischen Bomberflotte – Wie konnte das passieren?

Wolfgang Kaufmann und Jens Eichler
20.06.2025

Am 1. Juni startete der ukrainische Inlandsgeheimdienst Sluschba Bespeky Ukrajiny (SBU) eine 18 Monate lang vorbereitete Operation namens „Pawutyna“ (Spinnennetz), welche im Westen als „Meisterstück der asymmetrischen Kriegführung im digitalen Zeitalter“ gefeiert und dafür in Russland umgekehrt nach Putin-Lesart als „perfide Attacke“ analog zum japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 bezeichnet wurde. Mehrere Lkw, die aufklappbare Container geladen hatten und dem in Russland eingeschleusten SBU-Agenten Artem Tymofeew gehörten, näherten sich russischen Militärflughäfen und setzten insgesamt 117 kleine Drohnen mit einer Sprengstoffzuladung von jeweils 3,2 Kilogramm frei. Deren Steuerung erfolgte zunächst über das russische Mobilfunknetz und später dann in der unmittelbaren Angriffsphase wegen der Zeitverzögerung durch Künstliche Intelligenz (KI).

Die Quadrokopter schwärmten wie Bienen in Richtung der Luftwaffenbasen Olenja südlich von Murmansk, Iwanowo Sewerny nordöstlich von Moskau, Ukrainka im Fernen Osten Russlands, Belaja in Südostsibirien und Djagilewo bei Rjasan in Zentralrussland aus. Dort attackierten sie ungeschützt auf den Rollfeldern stehende russische Bomber der Typen Tupolew Tu-22M, Tu-95 und Tu-160 sowie etliche andere Militärflugzeuge des Aggressors Russland.

Verluste sind vielleicht ausgleichbar
Nach Angaben des SBU-Chefs Wassyl Maljuk wurden dabei 41 Maschinen zerstört. Laut russischen Verlautbarungen lagen die russischen Verluste deutlich niedriger: Satellitenbilder sollen die Sprengung von nur vier Tu-22M und vier Tu-95 auf der Piste von Belaja sowie von weiteren vier Tu-95 in Olenja belegen. Außerdem traf es ein Transportflugzeug vom Typ Antonow An-12 und zwei in Iwanowo Sewerny stationierte Luftraumaufklärer Berijew A-50 – allerdings ist unklar, ob die Letzteren überhaupt noch flugtauglich waren. Dahingegen verursachten die Angriffe auf Ukrainka und Djagilewo keine Schäden außer verbranntem Gras.

Da die russische Luftwaffe vor der Operation „Spinnennetz“ über mindestens 56 Tu-22M, 47 Tu-95 und 16 Tu-160 im einsatzbereiten Zustand verfügte, büßte sie durch den Angriff ein Zehntel ihres Bestandes an strategischen Bombern ein, wobei die besonders wertvollen, weil leistungsstarken Tu-160 aber komplett unbeschädigt blieben. Einige dieser Maschinen wurden dann auch sogleich vorsichtshalber nach Ugolny östlich von Anadyr an der Küste der Beringsee verlegt. Dieser Militärflughafen ist 6700 Kilometer von der Ukraine entfernt und für zivile Lkw nahezu unerreichbar.

Einige Experten sehen zudem die Möglichkeit, die Verluste bei den TU-22M und Tu-95 zeitnah auszugleichen. Immerhin sollen in der Vergangenheit allein schon um die 500 Tu-95 vom Band gelaufen sein, von denen womöglich noch etliche als Reserve bereitstehen und kurzfristig reaktiviert werden könnten.

Aus all diesen Gründen war die Operation „Spinnennetz“ zwar ein großer Erfolg für die Ukraine, aber wohl nicht der erhoffte finale „Gamechanger“ im Ukraine-Krieg. Natürlich stehen Moskau nun weniger Langstreckenbomber zur Verfügung, um Marschflugkörper und Hyperschallraketen auf militärische und zivile Ziele in der Ukraine abzuschießen, aber das lässt sich durch den verstärkten Einsatz der verbliebenen Maschinen wohl kompensieren. Dennoch bietet der Angriff einige wichtige Lehren für die Kriegführung der Zukunft.

Schwärme kleiner günstiger Drohnen können offensichtlich auch der teuren Militärtechnik von Atommächten gefährlich werden. So stehen Teile der US-amerikanischen B-2-Bomber ähnlich ungeschützt auf den Flugfeldern wie die russischen Tupolews. Gleichermaßen bedroht sind Marineeinheiten. Was, wenn die staatliche chinesische Reederei COSCO einige ihrer Containerriesen in getarnte Drohnenträger verwandelt? Hierzu sagte Thomas Shugart vom „Center for a New American Security“ in Washington: „Es grenzt an Irrsinn, dass wir es gestatten, dass Schiffe im Besitz oder unter der Kontrolle chinesischer Militärfirmen mit Tausenden Containern an Bord in unseren Häfen liegen.“

Ebenso zeigt die taktisch beeindruckende ukrainische Operation, wie leicht sich das geplante, viele Milliarden Dollar teure US-Raketenabwehrsystem Golden Dome mit einfachen und kostengünstigen technischen Mitteln annähernd ausmanövrieren ließe. Insofern liegt der Drohnenexperte James Patton Rogers vom Cornell Brooks Tech Policy Institute vollkommen richtig, wenn er sagt: „Dieser Angriff ist ein Fenster zu einem künftigen Krieg“, welches den Blick auf bislang unbeachtete Gefahren eröffne.

Fest steht: Die zwölf russischen Bomber erhielten letztlich deshalb Treffer, weil sie in keinem Hangar oder Bunker standen. Gerüchten in Social Media zufolge soll dieser Vorteil für die Ukraine den Hintergrund gehabt haben, dass sich Russland mit der offenen Stationierung an Regelungen des New Start-Vertrages gehalten habe.

Zu wenig Hangars, zu viele Bomber
Das ist falsch! Der Vertrag schreibt nicht vor, strategische Bomber immer im Freien zu parken. Vielmehr hat Russland den Vertrag seit Frühjahr 2023 einseitig ausgesetzt. In Artikel 10 des Vertrags heißt es zwar, die beiden Vertragsparteien dürften keine Maßnahmen ergreifen, deretwegen nicht mehr überprüfbar wäre, ob die Bestimmungen des Vertrages eingehalten werden. Danach steht dort aber: „ ... Die Verpflichtung, keine Verschleierungsmaßnahmen anzuwenden, gilt nicht für die Verwendung von Schutz- oder Verschleierungspraktiken auf Interkontinentalraketenstützpunkten oder für die Nutzung von Schutzräumen für strategische Angriffswaffen ...“ Der Vertragstext selber verbietet also nicht, die vom Vertrag betroffenen Geräte in einen Raum zu stellen. Dies umfasst auch strategische Bomber, die somit in Hangars untergebracht werden dürfen. Außerdem gelten solche Verträge immer bilateral – und das würde im Zweifelsfall bedeuten, dass auch die USA ihre Bomberflotte nicht unterstellen dürfen, was sie aber tun.

Richtig aber ist hingegen, dass Russland im Vergleich zu den Vereinigten Staaten gar nicht über eine ausreichend große Anzahl an Hangars und Bunkern für seine Bomber verfügt. Genau diese Tatsache haben die Ukrainer für sich genutzt. Somit geriet dieses Manko den russischen Luftstreitkräften jetzt zum Verhängnis.

Ansonsten war die Operation „Spinnennetz“ schon die zweite schwere Attacke Kiews auf die nukleare Infrastruktur Russlands nach den Drohnenangriffen auf die Antennenanlagen des Radarvorwarnsystems der russischen Raketenstreitkräfte bei Armawir und Orsk im Mai 2024.


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