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Der Wochenrückblick

Politiker von Format

Warum Anne Spiegel wirklich abgetreten ist, und wie Baerbock die NATO-Partner überraschte

Hans Heckel
16.04.2022

Das Beste an Auslandsberichterstattung besteht darin, dass sich die meisten Deutschen kaum für das Ausland interessieren. Daher wissen sie auch nicht viel über fremde Länder, was dem Berichterstatter die Chance bietet, dem heimischen Publikum jeden nur erdenklichen Schwachsinn auf die Nase zu binden.

Diese Chance lassen sich unsere Staatsfunker nicht entgehen, wie wir anhand einer denkwürdigen Frankreich-Sendung am Tag des ersten Wahlgangs zur Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag sehen konnten. In „Phoenix vor Ort“ spielten sich Reporter Michael Krons und der französische Historiker und „Experte für deutsch-französische Beziehungen“ Julien Thorel gegenseitig die Bälle zu. Krons weiß, was deutsche Herzen erschüttert, und kam gleich zur Sache. Der rechtspopulistische Kandidat Éric Zemmour sei ja Antisemit, weiß Krons, und will von Thorel jetzt eine Suada über den rechten Judenhass in Frankreich hören.

Dabei kommt dem Reporter zupass, dass die meisten Deutschen keine Ahnung haben dürften, welcher Religionsgemeinschaft Zemmour angehört. Der mit sieben Prozent gescheiterte Kandidat ist selbst Jude. Das schert Krons nicht, da das Etikett „Antisemit“ beim deutschen Publikum einfach viel zu schön wirkt, als dass man es ungenutzt liegen lässt, wenn man die Möglichkeit sieht, einen ungeliebten Politiker damit fertigzumachen. Der TV-Mann sparte sich selbstredend jedwede Begründung für sein Verdikt.

„Experte“ Thorel indes wurde das Eis ein bisschen zu dünn angesichts dieses offensichtlichen Unsinns. Er wechselte daher abrupt das Thema. Obwohl er weiß, dass französische Juden seit Jahren in Scharen das Land verlassen, und obwohl ihm ebenfalls bekannt ist, dass es muslimischer Judenhass ist, der diese Menschen in die Ferne treibt, belehrt uns Thorel, das der Antisemitismus gar nicht das Hauptproblem in seinem Land sei – das sei vielmehr der Anti-Islamismus!

Nach den Massakern an Konzertbesuchern im „Bataclan“, an der Redaktion von „Charly Hebdo“ oder den Morden an katholischen Priestern durch radikal-islamische Meuchler war uns völlig aus dem Blick geraten, wer in dem Nachbarstaat die eigentlichen Opfer sind. Dank „Phoenix vor Ort“ sind wir nun wieder ins Bild gesetzt worden, unseren Dank dafür an Kollegen Krons und seinen „Experten“. Übrigens: Vor ein paar Jahren wurde Michael Krons für den „Deutschen Fernsehpreis für die beste Information“ nominiert. Ja, in Deutschland weiß man Qualität zu würdigen!

Nur mit unserer Menschlichkeit hapert's manchmal. Ach, die arme Anne Spiegel. Ihre tränenerstickte Ansprache hat uns alle sehr berührt, nicht wahr? Am meisten hat uns allerdings erschüttert, dass Spiegel zu dem Zeitpunkt immer noch angenommen hat, mit ihrer Heulsusen-Nummer durchzukommen und im Amt bleiben zu dürfen, obwohl sich sogar die gesamte Grünen-Spitze da bereits gegen sie gestellt hatte.

Immerhin gab uns Spiegel tiefe Einblicke in die Arbeitsweise einer grünen Ministerin. Erst nach Durchsicht der Protokolle habe sie festgestellt, dass sie (entgegen ihrer ersten Behauptung) doch nicht bei den Kabinettssitzungen während ihres Frankreich-Urlaubs zugeschaltet war. Da fragen wir uns allerdings, was die Frau denn auf den übrigen Sitzungen der Landesregierung getrieben hat, wenn sie sich nicht einmal daran erinnern kann, ob sie überhaupt da war. Frankreich-Fotos angucken? Dösen?

Du sollst dich nicht erwischen lassen!

Bemerkenswert auch ihre Ansage, dass sie während des Urlaubs mitten in der Hochphase der Katastrophen-Bewältigung telefonisch immer erreichbar gewesen sei. Na, dann kann ich den Text ja auch hier abbrechen und nach Hause gehen auf meine hübsche Terrasse, wo gerade so schön die Sonne scheint. Wer Fragen hat, kann mich ja anrufen.

Ich habe unterdessen völlig vergessen, wie die „Spiegel-Affäre“ überhaupt ans Licht kam. Immerhin sind seit dem Ahrtal-Desaster mit 135 Toten, zahllosen Verletzten und zerstörten Existenzen acht Monate vergangen. In der Zeit setzte Spiegel allem Anschein nach auf das elfte Gebot: Du sollst dich nicht erwischen lassen! Und ihre grünen Parteifreunde standen ihr offenkundig bei, schließlich müssen die doch mitbekommen haben, wie atemberaubend es ihre Ministerin verbockt hat. Aber statt sie wenigstens still in der Kulisse verschwinden zu lassen, hob man sie derweil noch eine ganze Etage höher in den Sessel einer Bundesministerin.

Was bedeutet: Es war nicht Spiegels Fehlverhalten, das die Grünen-Führung dazu veranlasste, die Frau zum Rücktritt aufzufordern. Es war allein die ärgerliche Tatsache, dass der ganze Mist mehr als ein halbes Jahr später plötzlich und unerwartet aufflog und für reichlich Ärger sorgte. Sonst hätte Anne Spiegel bis zum Ende ihrer Amtszeit fröhlich weiterstümpern dürfen unter dem Beifall ihrer entzückten Parteikollegen. Co-Parteichef Omid Nouripour würdigte zum Abschied sogar ausdrücklich die tolle Arbeit, die Spiegel als Bundesministerin geleistet habe (in 124 Tagen Amtszeit). Was genau er damit gemeint hat, werden wir wohl erst in acht Monaten erfahren.

Anne Spiegel sei es nicht gelungen, die richtige Schwerpunktsetzung zwischen Familie und Ministeramt gedeichselt zu kriegen, so lässt sich die Kritik an ihr zusammenfassen. Allerdings wollen wir hier einwenden, dass das mit dem Schwerpunktsetzen in der jetzigen Bundesregierung ohnehin recht kreativ gehandhabt wird.

Da tagen beispielsweise die NATO-Staaten in Brüssel, um sich zum gefährlichsten Krieg in Europa seit 1945 zu positionieren – und die deutsche Außenministerin ist auf einmal weg. Verschwunden, weil sie in Berlin was Wichtigeres zu tun hatte, als sich über diesen blöden Krieg zu unterhalten. Sie musste nämlich im Bundestag über das Gesetz zur Impfpflicht abstimmen, dass dann gegen ihre Stimme in der Tonne gelandet ist.

In keinem anderen NATO-Staat wurde ein solches Gesetz ernsthaft in Erwägung gezogen, weshalb man sich vorstellen kann, welche Blicke die Vertreter der Partnerländer der abdampfenden Baerbock hinterherwarfen, als sie mitten auf dem Gipfel abhaute.

Eigentlich hätte Kanzler Scholz ihr dafür die Ohren lang ziehen müssen. Aber ausgerechnet er soll es ja gewesen sein, der sie dringend nach Berlin gebeten hatte. Scholz hegt nämlich selbst recht eigenwillige Vorstellungen hinsichtlich der richtigen Schwerpunktsetzung. Er hätte nach dem Antrittsbesuch in London gemeinsam mit seinem britischen Amtskollegen gleich nach Kiew weiterreisen können. Doch während Boris Johnson in der Ukraine große Politik machte, hatte auch Scholz Wichtigeres auf dem Terminkalender: ein Auftritt in Lübeck für den schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf.

Wir sehen: Format hat er ebenfalls, wie Annalena Baerbock. Und anhand ihrer jüngsten Reise-Aktivitäten wissen wir mittlerweile sogar, um was für ein Format es sich bei den beiden handelt.


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Kommentare

Annegret Kümpel am 16.04.22, 20:57 Uhr

Warum wählen die Deutschen immer wieder solche Nebelkerzen? Unfassbar, es gibt doch eine Alternative!

Waffenstudent Franz am 16.04.22, 19:06 Uhr

Werter Herr Heckel, warum läßt man sich nicht gerne von Abbrechern des Medizinstudiums am Herz operieren?

Und warum sind viele Deutsche geradezu versessen darauf, von Studienabbrechern ohne jede praktische Berufserfahrung regiert zu werden? Ich weiß es nicht!

Wenn wir die Dinge verkehren, also nur noch unerfahrene Studienabbrecher in den OP schicken und dazu beruflich erfahrene Fachleute in der Regierung dulden, geht sofort der Sturm der Entrüstung durch das weite BRD-Land!

Thomas Gedack am 16.04.22, 14:15 Uhr

Den Phoenix-Beitrag über Éric Zemmour von Michael Krons und Julien Thorel kann ich im Netz leider nicht finden.
Wer kann helfen?

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