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Vom Volksschüler zum Regierungschef: Gustav Bauer machte eine blendende Karriere als Berufsfunktionär
Als Gustav Bauer am 6. Januar 1870, also reichlich ein Jahr vor der Gründung des Deutschen Reiches, im ostpreußischen Darkehmen das Licht der Welt erblickte, konnte niemand ahnen, dass der Sohn eines Gerichtsvollziehers und Nachfahre von Einwanderern aus Süddeutschland einmal zum Regierungschef seines Landes aufsteigen würde. Bauers Bildungsgang endete auch bereits 1884 mit dem Abschluss der Volksschule in Königsberg, wonach er als Schreiber beziehungsweise Bürovorsteher in verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien arbeitete. Dann startete der mittlerweile invalide Bauer, dem 1888 krankheitsbedingt ein Bein amputiert werden musste, 1895 eine Karriere als Berufsfunktionär.
Bauer gründete den Zentralverein der Bureauangestellten Deutschlands und stand diesem bis zur Fusion mit dem Verband der Verwaltungsbeamten der Krankenkassen im Jahre 1908 vor. Ab 1903 fungierte er noch als Leiter des Zentral-Arbeitersekretariats der Freien Gewerkschaften in Berlin. Und von 1908 bis 1918 hatte er das Amt des zweiten Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands inne. Außerdem saß Bauer ab 1912 für die SPD im Reichstag sowie parallel im Aufsichtsrat der Volksfürsorge.
Arbeitsminister unter Scheidemann
Kurz vor der Novemberrevolution von 1918 ernannte Reichskanzler Prinz Max von Baden Bauer zum Staatssekretär des Reichsarbeitsamtes. Nach den Wahlen zur verfassunggebenden Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919 zog der gebürtige Ostpreuße auch in dieses Parlament ein. Nur wenige Wochen später, am 13. Februar 1919, wurde er Reichsarbeitsminister im Kabinett des Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, der ersten Reichsregierung während der Zeit der Weimarer Republik. Da Scheidemann sich strikt weigerte, das Versailler Diktat zu unterzeichnen, drohte eine Besetzung ganz Deutschlands durch die Alliierten, weswegen er schließlich auf Druck der Obersten Heeresleitung und einflussreicher Realpolitiker wie Matthias Erzberger, Gustav Noske und Friedrich Ebert zurücktrat.
Reichskanzler mit Haltung
Damit schlug die Stunde von Gustav Bauer, dessen Ernennung zum Reichsministerpräsidenten beziehungsweise dann Reichskanzler am 21. Juni 1919 erfolgte. Obwohl Bauer das Versailler Diktat ebenfalls ablehnte, beschloss er aber, diesem zumindest formell zuzustimmen, was er in der Nationalversammlung folgendermaßen begründete: „Wir stehen hier aus Pflichtgefühl, in dem Bewusstsein, dass es unsere verdammte Schuldigkeit ist, zu retten zu suchen, was zu retten ist ... Wenn die Regierung ... unter Vorbehalt unterzeichnet, so betont sie, dass sie der Gewalt weicht, in dem Entschluss, dem unsagbar leidenden deutschen Volke einen neuen Krieg, die Zerreißung seiner nationalen Einheit durch weitere Besetzung deutschen Gebietes, entsetzliche Hungersnot für Frauen und Kinder und unbarmherzige längere Zurückhaltung der Kriegsgefangenen zu ersparen...!“
Nach dem Inkrafttreten des Versailler Diktats am 10. Januar 1920 versuchte Bauer aber dessen Erfüllung zu verzögern, konnte damit jedoch die drastische Reduzierung des deutschen Heeres nicht verhindern. Das wiederum war einer der Gründe für den Kapp-Putsch im März 1920, der Bauer das Amt kostete.
In doppelter Funktion
Denn weil Vertreter seiner Regierung mit den Putschisten verhandelt hatten, verlor er das Vertrauen der SPD und der Gewerkschaften. Nach Bauers Rücktritt am 26. März 1920 holte der neue SPD-Kanzler Hermann Müller ihn jedoch abermals in die Regierung – zuerst als Chef des Reichsschatzministeriums und dann parallel dazu auch als Reichsverkehrsminister. Doch das Kabinett Müller bestand nur bis Juni 1920. Anschließend folgte das bürgerliche Kabinett Fehrenbach, welches im Mai 1921 von der Regierung Wirth abgelöst wurde. Unter dem Zentrumspolitiker Wirth fungierte Bauer nochmals als Reichsschatzminister sowie als Vizekanzler, wobei er diesmal bis November 1922 im Amt blieb.
Prägend bis heute
Während seiner Zeit als Minister sorgte Bauer unter anderem dafür, dass das Reich die Zuständigkeit über das deutsche Eisenbahnwesen erlangte. Dazu kam eine gemeinsam mit Erzberger durchgeführte Finanz- und Steuerreform, welche die Finanzverfassung und das Steuersystem Deutschlands bis heute prägt.
Von 1920 bis 1928 saß Bauer wieder im Reichstag – mit einer Unterbrechung vom 7. Februar 1925 bis zum 14. Mai 1926. Diese resultierte aus dem zeitweisen Ausschluss von Bauer aus der SPD wegen seiner Kontakte zu dem Betrüger-Duo Judko und Herschel Barmat. Bauer hatte Provisionen von den Barmats erhalten und dies dem Parlament zunächst verschwiegen. Allerdings hob ein Parteischiedsgericht den Ausschluss letztlich wieder auf.
Mangel an Beweisen
Nach dem eher unfreiwilligen Rückzug aus der Politik war Bauer ab 1928 Geschäftsführer einer Berliner Wohnungsbaugenossenschaft. Doch im Juni 1933 musste er aufgrund des Vorwurfs der Veruntreuung von Steuergeldern für einige Zeit in Untersuchungshaft. Die Einstellung des Verfahrens erfolgte erst zwei Jahre später – 1935 aus Mangel an Beweisen. Anschließend zog sich der ehemalige Reichskanzler mit ostpreußischen Wurzeln vollkommen zurück und starb am 16. September 1944 in Hermsdorf im Berliner Bezirk Reinickendorf.