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Im heutigen Scheune [Gumience]: Die einst evangelische Kirche aus dem 15. Jahrhundert, heute die katholische Kirche „Unserer lieben Frau vom Rosenkranz“. Das ehemalige Kriegerdenkmal weist auf der Rückseite die Namen der im Ersten Weltkrieg Gefallenen auf
Foto: Kapitel/WikimediaIm heutigen Scheune [Gumience]: Die einst evangelische Kirche aus dem 15. Jahrhundert, heute die katholische Kirche „Unserer lieben Frau vom Rosenkranz“. Das ehemalige Kriegerdenkmal weist auf der Rückseite die Namen der im Ersten Weltkrieg Gefallenen auf

Zeitgeschichte

Schicksalsort Scheune

Der Bahnhof bei Stettin erlangte traurige Berühmtheit bei Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten

Brigitte Klesczewski
24.05.2024

Der Ort Scheune [Gumience] liegt im Südwesten von Stettin im ehemaligen Stadtrandsiedlungsgürtel. Die Entfernung zur Stadtmitte beträgt vier Kilometer. Scheune gehörte bis zum Jahr 1939 zum Kreis Randow, wurde aber am 15. Oktober 1939 der Stadt Stettin angegliedert. Weder vor noch nach der Eingemeindung hatte dieser Ort einen herausgehobenen Bekanntheitsgrad. Im Jahr 1945 bestand er aus drei räumlich voneinander entfernt gelegenen Ortsteilen.

Um den dörflichen Ortskern hatten sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts siedlungsmäßig strukturierte Wohnviertel entwickelt. In etwa 1500 Metern Entfernung vom Ortskern befindet sich das alte Gut Scheune. Dieses Gut war bereits im 16. und 17. Jahrhundert ein Pachtgut der Stadt Stettin, zu welchem die Bauern Dienste leisten mussten. Doch schon vor dem Zweiten Weltkrieg war es in Privatbesitz übergegangen.

Ebenfalls 1500 Meter vom Ortskern gelegen ist der Bereich des Bahnhofs Scheune mit einem kleinen Wohngebiet und einer 1890 erbauten Zuckerfabrik. Diese verarbeitete nicht nur die Ernte des Umlandes, sondern auch die aus dem Norden von Zedlitzfelde angebauten Früchte.

Zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt entwickelte sich der Bahnhof Scheune durch die Fertigstellung der Güterumgehungsbahn, die ab 1933 eine südliche Vorbeileitung des Güterschienenverkehrs an Stettin und damit eine Umgehung des engen Hauptbahnhofes ermöglichte. Den Bahnhof Scheune durchliefen die Hauptstrecken Stettin–Berlin, Stettin über Pasewalk nach Schwerin und Lübeck beziehungsweise über Pasewalk nach Stralsund. Auf neuer Gleisanlage konnten die Strecken auf der Ostoderseite und der östlich der Oder gelegene Stettiner Hauptgüterbahnhof direkt erreicht werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof für Finkenwalde an die Umgehungsbahnlinie verlegt, der alte, große Bahnhof dagegen stillgelegt.

Der Bahnhof Scheune sollte nach Kriegsende 1945 ein Ort des Schreckens und Grauens werden. Die Ostdeutschen, die Scheune passierten, wurden zu Opfern oder Zeugen grausamer Geschehen. Ihre Zahl wird sich nie ermitteln lassen. Hier im neuen Zentralbahnhof zwischen Ostpommern, Stettin und der damaligen Sowjetzone trafen die aus ihren Heimatgebieten ausgewiesenen Polen ein, um sich in dem seit dem 5. Juli 1945 von dem sowjetischen Stadtkommandanten von Stettin, General Fedotow, an Polen übergebenen Stadt anzusiedeln.

Als Räuberbahnhof bekannt
Zu gleicher Zeit passierten aber auch die aus den Gebieten ostwärts der Oder vertriebenen Deutschen sowie die im Stettiner Stadtgebiet Beheimateten den Bahnhof. Meistens fiel man gleich über die Deutschen her und raubte sie völlig aus. Die von Scheune nach Stettin hineinführende Bahnstrecke unterstand noch der sowjetischen Militärverwaltung. Die polnischen Züge endeten oder begannen aber in Scheune.

Den Räuberbahnhof Scheune habe ich Ende Juli 1945 kennengelernt. Ich war bis Ende 1945 in der Kinderlandverschickung auf Rügen gewesen. Meine Mutter hatte mich dort nicht abholen können. Sie war gleich nach der Flucht bis Pasewalk wieder in den Heimatort Stettin-Hökendorf zurückgekehrt.

Im Juli 1945 bin ich von Stettin aus, nachdem ich erfahren hatte, dass meine Mutter nach Hökendorf zurückgekehrt war, nach Scheune gewandert, um von dort mit der Bahn über die Oder nach Altdamm zu gelangen und dann weiter zu Fuß nach Hökendorf. In Scheune standen unzählige Beutezüge der Russen, gefüllt mit Maschinen, Badewannen, Waschbecken, Herden und Öfen. In einer Ecke, südöstlich vom Bahnhof, lagerten gefangene deutsche Soldaten. Nur ein großer Soldat stand mit umgehängter Decke und erweckte den Eindruck, als wollte er seine Kameraden beschützen. Die Soldaten warteten auf den Abtransport nach Osten, nach Russland.

Meine Fahrt nach Altdamm wäre mir nicht gelungen, wenn ich nicht wieder Menschen getroffen hätte, die mir weiterhalfen. Ich erblickte zwei Eisenbahner in ihren schmucken Uniformen. Sie mussten bei den Russen und Polen wegen ihrer beruflichen Fähigkeiten die Beutezüge an die polnisch-russische Grenze fahren. Beide stammten aus Hökendorf. Ich bat sie, mich nach Hökendorf mitzunehmen. Herr Neese und Herr Lange besorgten mir daraufhin hinter der Lokomotive einen Stehplatz auf dem Übergang eines D-Zugwagens. Ich musste mich am offenen Fenster der Durchgangstür festhalten.

Beutezüge für Russland
Nachdem sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, schlug eine Frau auf meine Hände, sodass ich mich kaum festhalten konnte. Herr Neese sah das. Er saß mit Herrn Lange auf dem Tender der Lokomotive. Er kletterte mir entgegen und half mir, auf den Tender zu kommen. In Altdamm sprangen wir von dem etwas langsamer fahrenden Zug.

Anfang Oktober 1945 kam ich mit meiner Mutter von Altdamm aus wieder zurück nach Scheune. Hier erlebten wir grausame Überfälle von Jugendlichen, die den Deutschen ihre Habe entrissen und sie sogar zwangen, Kleidungsstücke auszuziehen, um sie ihnen dann zu entwenden. Erst als der Zug in Pasewalk einlief und wir die deutschen Bahnbeamten sahen, fühlten wir uns wieder sicher.

Der Bahnhof Scheune ist in der heutigen Zeit eine unbedeutende Grenzstation. Es gibt wieder eine Eisenbahnbrücke über die Oder in Stettin. Der Bahnverkehr nach Osten berührt den Bahnhof Scheune nicht mehr. Nur wenige Züge von und nach der Bundesrepublik halten dort zur Grenzkontrolle.

Heute ist Scheune der erste Vorort den man, von der Autobahn kommend, als Stadtteil Stettins antrifft und damit auch bald Stettins Stadtmitte erreicht. Wenige Kilometer vorher jedoch musste die deutsch-polnische Grenze bei Pomellen und Kolbitzow überschritten werden.


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