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Analyse

Schicksalswahl für Polen

Seit Jahren stehen sich die nationalkonservative Regierung und die bürgerliche Opposition unversöhnlich gegenüber. Am Sonntag haben nun die Wähler das Wort über den Kurs unseres östlichen Nachbarn. Auch für die deutsche Minderheit steht einiges auf dem Spiel

Rudolf Urban
14.10.2023

An diesem Sonntag wählt Polen ein neues Parlament, den Sejm und den Senat. Sowohl die Regierung als auch die Opposition sehen es als Schicksalswahl für Polen an, beide freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Auch für die deutsche Minderheit im Land, die in der Region Oppeln eine eigene Liste aufstellt, wird die Wahl am 15. Oktober richtungweisend sein.

Seit acht Jahren regiert in Polen Jarosław Kaczyńskis Partei „Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS, dt.: Recht und Gerechtigkeit) und führte, so die Opposition, das Land an den Rand des Abgrunds. Die Fronten sind also nicht nur verhärtet, es gibt nicht einen einzigen Punkt, in dem sich die führenden politischen Gruppierungen – PiS auf der einen und die Bürgerkoalition (KO) auf der anderen Seite – einig wären. Das riss Gräben auf, die wohl, wie jüngst der ehemalige Kultusminister Bogdan Zdrojewski (KO) bei Radio TOK FM sagte, jahrzehntelang bestehen bleiben dürften.

Die tiefe Spaltung der Gesellschaft
Egal, welches Thema man anschneidet, die Gräben sind überall unübersehbar. In der Außenpolitik setzt die Opposition rund um die KO und ihren Chef Donald Tusk auf eine Zusammenarbeit mit Deutschland und eine starke Bindung zur EU. Die PiS dagegen sieht in Deutschland eine ernsthafte Gefahr für Polens Souveränität und Sicherheit – und zwar nicht nur wegen der Migrationspolitik von Angela Merkel im Jahr 2015 und der aktuellen Flüchtlingsströme nach Europa, sondern auch wegen der vermeintlichen deutschen Dominanz in der EU, die kein Staatenbündnis mehr sei, sondern nach Meinung der PiS und ihres Chefs Kaczyński fast ausschließlich auf Ansagen aus Berlin höre.

Beim Stichwort Sicherheit sind sich Regierung und Opposition ebenfalls uneins. Die Mauer zu Weißrussland zum Beispiel, die die PiS als wichtigen Schutzwall gegen illegale Einwanderung ansieht, kritisieren nicht nur die Bürgerkoalition, sondern auch die Linke (Lewica), die Bauernpartei (PSL) und die relativ neue Polska 2050 des bekannten früheren TV-Moderators Szymon Holownia als unmenschliches Vorgehen gegen Flüchtlinge. Polens Verteidigungsministerium wiederum veröffentlichte unlängst einen alten, aber eigentlich immer noch geheimen Verteidigungsplan, aus dem hervorgehen soll, Donald Tusk – das personifizierte Übel und eine Marionette Berlins – habe seinerzeit beschlossen, bei einem möglichen Angriff aus dem Osten fast ganz Ostpolen sich selbst zu überlassen und eine Verteidigung des Landes erst ab Höhe Warschau zu beginnen. Jede Erklärung der Opposition, dies stimme nicht und man könne einzelne Karten nicht aus dem Kontext heraus veröffentlichen, werden als weiterer Beweis für ein angebliches Lügennetz des Lagers um Tusk betrachtet.

Auch auf klassischen Feldern der Innenpolitik gibt es keinerlei Annäherung. Zwar muss die Opposition eingestehen, dass die von PiS eingeführten Sozialleistungen – unter anderem 500 Zloty monatlich für jedes Kind und auch zusätzliche Rentenzahlungen – eine immense Hilfe für die Menschen im Land sind, doch gleichzeitig wirft sie die Frage auf, woher die Gelder dafür stammen. Auch das Problem der Rechtsstaatlichkeit ist ein wichtiger Streitpunkt zwischen den Lagern, ebenso wie die Vereinnahmung der öffentlich-rechtlichen Medien und der Aufkauf regionaler Zeitungen durch den staatlichen Ölkonzern Orlen, der damit die Presse im Land weitgehend den Anliegen der Regierung untergeordnet hat.

Insofern betrachten die meisten polnischen Kommentatoren die Wahlen am Sonntag schon jetzt als schicksalhaft. Sollte die PiS für eine weitere Amtszeit am Ruder bleiben, wird es keine Annäherung an Deutschland geben, und auch die Europäische Union bleibt mit ihrem Pochen auf Rechtsstaatlichkeit, Genderpolitik und Energiewende eher Feind statt Partner der Warschauer Regierung.
Sollte stattdessen die Opposition rund um die Bürgerkoalition und Donald Tusk gewinnen, wird dies zu einer klaren Wende in der polnischen Politik führen. Allerdings wird diese nicht sofort und auf allen Ebenen eintreten können. Die PiS hat nämlich in den letzten Jahren in vielen Institutionen des Staates – Medien, Gerichte, Staatsanwaltschaft, Behörden und staatliche Unternehmen – eigene Leute in Schlüsselpositionen plaziert. Auch der mächtige Staatspräsident Andrzej Duda gehört der PiS an.

Die Lage der deutschen Minderheit
Inmitten dieses polnisch-polnischen Konfliktes steckt die deutsche Minderheit, die vor allem in Ostpreußen, Pommern und Schlesien zu Hause ist, jedoch einzig in der Oppelner Region bei jeder Wahl zu Sejm und Senat seit 1991 eine Kandidatenliste aufstellt. Schon seit Jahren muss sie stets betonen, sie bekomme kein Mandat frei Haus, sondern muss um jede Stimme kämpfen. Sie muss zwar die Fünfprozenthürde auf nationaler Ebene nicht überschreiten, wohl aber auf Wahlkreisebene, das heißt in der Woiwodschaft Oppeln. „Realistisch gesehen muss die Minderheit hier etwa neun bis zehn Prozent der Stimmen erhalten, um bei der Verteilung der zwölf Mandate überhaupt berücksichtigt zu werden“, so der Politikwissenschaftler Adam Drosik von der Universität Oppeln.

Was der Minderheit aber wirklich Sorgen bereitet sind die jüngsten Angriffe seitens der regierenden PiS. Namentlich ist es einer ihrer Oppelner Abgeordneten, Janusz Kowalski, der es geschafft hat, den Deutschunterricht als Minderheitensprache an den Schulen von drei Stunden pro Woche auf eine zu reduzieren und damit – da diese Kürzungen lediglich die deutsche Minderheit betreffen – offen eine Diskriminierung einer konkreten Gruppe zu etablieren. Dagegen stellt sich die Minderheit, wird von polnischen und deutschen Politikern unterstützt, findet auch im EU-Parlament ein offenes Ohr, nicht aber bei der Europäischen Kommission.

Sollte die PiS gewinnen, drohen der Minderheit weitere Beschneidungen ihrer Rechte. So hat Kowalski bereits vor einem Jahr angekündigt, er werde sich nach den Kürzungen des Deutschunterrichts darum bemühen, auch Mittel für die Kulturarbeit sowie das vermeintliche Wahlprivileg aus dem Wahlgesetz zu streichen. Das alles, so die Argumentation, weil die Polen in Deutschland nicht denselben Status wie die deutsche Minderheit in Polen genießen.

Die deutsche Minderheit lässt sich jedoch von derlei Provokationen in ihrem konstruktiven Kurs nicht beirren: „Wir treten seit 30 Jahren zu den Wahlen an, weil wir uns für die Region, in der wir leben, und für Polen verantwortlich fühlen“, so Rafał Bartek, Vorsitzender der deutschen Minderheit und einer ihrer Kandidaten zum Sejm, „und wir wollen nicht, dass die Fragen, die unsere Gemeinschaft, die schlesische Gemeinschaft, betreffen, nur von denen entschieden werden, die unsere Region nicht kennen, die ihre Multikulturalität nicht respektieren können und die unsere Einwohner diskriminieren und zynisch versuchen, die Gemeinschaft der Woiwodschaft Oppeln zu spalten. Die deutsche Minderheit ist ein Garant für Dialog und Sicherheit.“

Wie die Wahl ausgeht, ist derzeit nicht absehbar. Es verspricht jedoch ein knappes Rennen zu werden.

Dr. Rudolf Urban ist Chefredakteur der Zeitung „Wochenblatt.pl – Zeitung der Deutschen in Polen“.
www.wochenblatt.pl


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