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Trockenen Fußes von der Strandpromenade zum Schiff – Heute eine Attraktion zu jeder Jahreszeit
Als Mediziner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die heilsame Wirkung des Badens in der See entdeckt hatten, waren in Pommern buchstäblich auf Dünensand die Ostseebäder Swinemünde, Heringsdorf, Misdroy und Kolberg entstanden. Etwas später folgten Binz und Sellin auf der Insel Rügen. Am Anfang waren pommersche Gutsbesitzer noch mit Pferd und Wagen ins Bad gereist.
Städter hingegen benutzten zur Anreise die nicht gerade billige Postkutsche, die von Berlin nach Swinemünde mehrere Tage benötigte. Etwas später reisten viele Gäste mit dem Schiff an, denn der Anschluss an die Eisenbahn fehlte allgemein noch. Eine weit in die See ragende Seebrücke war daher für die meisten Ostseebäder von existenzieller Bedeutung. Seebrücken sind Brücken im wahren Wortsinn, denn sie überbrücken die Distanz zwischen dem Land und jener Stelle im Meer, an der die Schiffe noch die sprichwörtliche „Handbreit Wasser unter dem Kiel“ haben. Bei einem Tiefgang der Fahrgastschiffe von zwei bis drei Metern war in der relativ flachen Ostsee eine Brückenlänge von etwa 350 Metern unabdingbar.
Heute haben die Seebrücken für die Anreise der Gäste kaum noch Bedeutung, wohl aber als Anleger für die Ausflugsschiffe. Zudem sind sie ein Statussymbol par excellence, denn sie ziehen die Menschen geradezu magisch an. Selbst die Abstände zwischen den Strandkörben sind in Brückennähe geringer. Es heißt sogar, dass die Brücken die Seele streicheln und dass sich das Gehen auf ihnen anfühlt, als schreite man trockenen Fußes übers Wasser. Und mit jedem Schritt in Richtung Brückenkopf würden der Wind im Gesicht und der Geschmack von Salz auf der Zunge intensiver.
Die Ältesten
Den ersten, etwa 100 Meter langen hölzernen Seesteg konnten die Badegäste ab 1881 im hinterpommerschen Kolberg nutzen. Das Wolliner Ostseebad Misdroy hielt drei Jahre später mit einem 120 Meter langen Seesteg, der zugleich Bootsanleger und Promenadensteg war, dagegen. Ihre weit in die See reichenden Seebrücken errichteten die pommerschen Bäder um die Jahrhundertwende.
Mit einer 500 Meter langen Seebrücke, Bauherr war die Aktiengesellschaft Seebad Heringsdorf mit den Finanziers Hugo und Adelbert Delbrück an der Spitze, schmückte sich im Jahre 1891 standesgemäß das „Nizza des Nordens“, das See, Sol- und Moorbad Heringsdorf. Am Kopf der „Kaiser-Wilhelm-Brücke“ befanden sich eine Aussichtsplattform mit Restaurants und eine Anlegestelle für Passagierschiffe, die Swinemünde, Stettin, Rügen und Bornholm anliefen. Auf der unteren der drei Etagen gab es einen „Schwimmhafen“ und einen Sprungturm. Im Westen und im Norden schützten vorgelagerte Wellenbrecher das Bauwerk, sodass Sturmschäden weitgehend verhindert werden konnten. Zwei Jahre nach dem Bau des Seestegs entstand das mit zahlreichen Türmchen verzierte Eingangsgebäude mit seinen Kolonnaden.
Was man in Misdroy und Göhren während des Ersten Weltkrieges befürchtet hatte, trat 1945 in Heringsdorf ein: Russische Kriegsschiffe legten an der Seebrücke an. Die Sieger requirierten im Ort 41 Pensionen und Hotels, zäunten das Areal ein und nutzten die Villen fünf Jahre lang als Sanatorium für ihre Offiziere und deren Frauen. Die Matrosen der Baltischen Rotbannerflotte hingegen brieten auf der Seebrücke auf offenem Feuer ihre „Ostsee-Enten“, was nicht selten zu Bränden führte. Im Winter 1951 setzten sowjetische Schiffe an der Brücke die letzten 150 deutschen Swinemünder ab. Schließlich verfiel das Bauwerk mehr und mehr. Im Jahr 1957 wurde durch Brandstiftung auch der prachtvolle hölzerne Eingangsbereich zerstört. Die Brücke wurde gesperrt und schließlich abgetragen.
Der Primus: Heringsdorf
Die neue, im Jahr 1995 errichtete, Sturm und Eisgang trotzende Heringsdorfer Seebrücke, mit ihren Ladenstraßen, Ferienwohnungen, Gaststätten und Cafés, hat eine Länge von 508 Metern und kann derzeit wohl zu Recht als Primus unter den pommerschen Seebrücken bezeichnet werden.
Mit der einzigen Seebrücke aus dem 19. Jahrhundert schmückt sich das Ostseebad Ahlbeck. Mehrfach war sie Kulisse für Filmaufnahmen, so für die Filme: „Die Russen kommen“ und Loriots „Pappa ante Portas“. Der 280 Meter lange Seesteg führt zunächst zu einer über dem Strand gelegenen Plattform mit einem Restaurant, woran sich ein 170 Meter langer Landesteg anschließt. Baubeginn war 1882 gewesen. Der Landungssteg folgte 1898. Jahrzehntelang setzten der Ahlbecker Brücke Sturm, Eisgang, Wellenschlag und der Zahn der Zeit zu. Sie wurde jedoch immer wieder instandgesetzt, wobei die historische Bausubstanz stets erhalten blieb.
Die Instandhaltung erfolgte jedoch zulasten der übrigen Usedomer Brücken, denn zu DDR-Zeiten reichte der Etat nicht für alle. Seit einer umfangreicheren Sanierung im Jahr 1986 steht die Ahlbecker Brücke mit ihrem Restaurant unter Denkmalschutz.
Heringsdorfs Nachbarort Swinemünde [Świnoujści], Ostseebad und Hafenstadt zugleich, hatte früher ebenfalls eine Seebrücke, die „Kaiser-Friedrich-Seebrücke“. Man betrat sie über eine Treppe vom Strand aus. Sie war jedoch eher Flaniermeile als Schiffsanleger. Bereits 1928, zwei Jahrzehnte nach ihrer Einweihung, wurde sie wieder zurückgebaut. Übrig blieb ein Seesteg, der nach dem Kriege ebenfalls verschwand. Die Vermutung liegt nahe, dass der Rückbau der völlig intakten Brücke erfolgt war, um das Schussfeld für die Geschütze der nahen Festungen Engelsburg und Westbatterie freizumachen.
Der gegenwärtig im Bau befindliche Swinemünder „Baltic Park Molo“ (Molo = Seebrücke) besteht aus Premiumhotels und einem Aquapark. Auf die Seebrücke warten die Einwohner und die Gäste der Stadt noch immer vergeblich.
Die Schönen
Dem Ostseebad Koserow, auf der Insel Usedom gelegen, ist erst mit seiner vierten Seebrücke der große Wurf gelungen. Die Vorgänger waren – wie die meisten pommerschen Brücken ihrer Art – den sturmgepeitschten Wellen und dem Eisgang der Ostsee zum Opfer gefallen. Ihre Höhe über dem Wasser war zu gering.
Die im Jahre 2021 eröffnete neue Koserower Brücke hat lediglich eine Länge von 280 Metern, sie macht dieses Defizit jedoch durch ihre architektonisch einzigartige Form mehr als wett und zählt wohl zu den schönsten ihrer Art. Es heißt, dass sie „eine Welle über den Wellen“ ist, denn sie führt nicht schnurgerade in die See hinaus, sondern wellenförmig. Der Brückenkopf, den ein acht Meter hoher Glockenturm mit zwei Glocken ziert, dient als Veranstaltungsplattform. Neben dem Turm befindet sich die Statue eines Glöckners, der auf die See hinausschaut, dorthin, wo der Sage nach die Stadt Vineta versunken ist. Mittwochs gegen 16 Uhr, wenn die Vineta-Sage vorgetragen wird, strömen mehr Besucher auf die Brücke als an anderen Tagen.
Auch Zinnowitz partizipiert vom Glanz der versunkenen Stadt. Die dortige 315 Meter lange, im Herbst 1993 eingeweihte Brücke, trägt den Namen „Vineta-Brücke“. Ihre Attraktion ist eine Tauchgondel. Gegenwärtig denken die Verantwortlichen offensichtlich über den Bau einer neuen Brücke nach.
Die prachtvolle Misdroyer Brücke, sie ist die einzige auf der Insel Wollin, steht stellvertretend für den Verfall pommerscher Brücken während des Krieges und in der Nachkriegszeit. Seine erste Seebrücke erhielt der Dauerkonkurrent von Heringsdorf und Swinemünde im Jahre 1906. Der Privatier Böttcher hatte 250.000 Mark in den Bau der 370 Meter in die See ragende „Kaiser-Friedrich-Brücke“ investiert. Ein Ring von Steinen diente als Brückenkopf. Dort befand sich eine 30 Meter lange und zwölf Meter breite Restaurationshalle. Im Café auf dem Brückenkopf tanzte man abends nach Juventino Rosas Walzer „Sobre las olas“ (Über den Wellen). Den Brückeneingang zierte eine große Glashalle mit zwölf Läden. Die beiden Türme am Eingang trugen Kupferhauben.
Demnächst folgt die Fortsetzung in der Pommerschen Zeitung mit Misdroy, Sellin, Prerow und Zoppot