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Der Journalist Paul Schreyer geht in seinem gründlich recherchierten Buch der Geschichte nach, wie sich die Welt in Planspielen seit 1991 auf die Abwehr künftiger Verseuchungen vorbereitet hat
Wer behauptet, die Corona-Pandemie hätte die westliche Welt unvorbereitet getroffen, der irrt oder sagt die Unwahrheit. Das zeigt das gründlich recherchierte Buch „Chronik einer angekündigten Krise“ in absoluter Deutlichkeit. Denn darin weist der freie Journalist Paul Schreyer nach, „wie intensiv und wie lange schon ein solcher Virusausbruch immer wieder geübt wurde, ... und wie regelmäßig man in diesem Zusammenhang auch einen politischen Ausnahmezustand einschließlich ... der Einschränkung von Bürgerrechten durchgespielt hat?“
Nach dem Ende des Kalten Krieges klagte der damals ranghöchste US-Militär Colin Powell: „Mir gehen die Schurken aus.“ Deshalb wurde 1991 die Gefahr von Terroranschlägen mit biologischen Waffen an die Wand gemalt und das Thema „Biosicherheit“ aufs Tapet gebracht. Statt der kommunistischen Bösewichter im Kreml sollten künftig gesichtslose „Bioterroristen“ dazu herhalten, die eigene Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, um mit der politischen Agenda der Jahre vor 1989 fortfahren zu können.
Eine zentrale Rolle kam in diesem Zusammenhang dem 1998 gegründeten Johns Hopkins Center for Civilian Biodefense Strategies (CCBS) zu, das bald zum Hauptinitiator von Tagungen und Notfallübungen wurde, bei denen es um mögliche staatliche Reaktionen auf die Verbreitung von tödlichen Erregern ging. Und welches nun als Johns Hopkins Center for Health Security auch eine ganz maßgebliche Rolle in der Corona-Pandemie spielt.
Simulation eines Virenangriffs
Die erste vom CCBS organisierte Konferenz fand im Februar 1999 in Washington statt. An ihr nahmen 900 Delegierte aus zehn Ländern teil. Am zweiten Tag erfolgte die Simulation eines Terrorangriffs mit Pockenviren, wobei behördliche Maßnahmen zum Einsatz kamen, wie man sie aus der aktuellen Corona-Krise kennt. Weiter ging es im November 2000 mit dem nächsten Zusammentreffen samt Planspiel: Diesmal brach in einer fiktiven Stadt in den USA die Pest aus, woran die Natur selbst „schuld“ sein sollte. Die darauffolgende Übung namens „Dark Winter“ im Juni 2001 basierte wiederum auf dem Szenario eines Pocken-Ausbruchs. Bei ihrer Auswertung fiel unter anderem auch der Satz: „Die Amerikaner können grundlegende Bürgerrechte wie das Versammlungsrecht oder die Reisefreiheit nicht länger für selbstverständlich nehmen.“
Wenig später kam es zu den Anschlägen des 11. September sowie den Attentaten mit tödlichen Anthrax-Sporen auf US-Parlamentarier. Hieraufhin wuchs das Interesse am Thema Biosicherheit nochmals deutlich an. Die „Biosecurity“ wurde nun systematisch institutionalisiert und internationalisiert – beginnend mit einer Konferenz der westlichen Gesundheitsminister im November 2001. Anschließend einigten sich Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, Japan, Mexiko und die USA darauf, die Liste der biologischen Notfälle mit Koordinationsbedarf um Pandemien aller Art zu erweitern.
In Reaktion hierauf fand im September 2003 eine erste große Pandemie-Übung namens „Global Mercury“ statt – und zwar unter Einbezug der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie der Europäischen Kommission. Dabei wurden die Verhängung des Ausnahmezustands sowie die Durchführung von Massenimpfungen geprobt. Genauso verhielt es sich bei den letzten beiden Simulationen vor Ausbruch der Corona-Krise, nämlich „Clade X“ im Mai 2018 und „Event 201“ im Oktober 2019. Im ersteren Fall sollte ein künstlich geschaffenes tödliches Virus mittels der inzwischen sattsam bekannten PCR-Tests nachgewiesen und dann durch RNA-Vakzine unschädlich gemacht werden. Im zweiteren Falle spielte man eine Pandemie infolge des Erscheinens neuer Coronaviren durch, die von Fledermäusen über Schweine auf den Menschen übergehen und sich explosionsartig vermehren. Wenige Wochen später meldete China die ersten SARS-CoV-2-Fälle, und viele der Protagonisten beim „Event 201“ kamen nun erneut zum Einsatz, nur dass es sich jetzt um bitteren Ernst handeln sollte.
Angesichts dieser Umstände bezweifeln kritische Geister, dass die derzeitige Corona-Pandemie eine unerwartet hereingebrochene „Naturkatastrophe“ darstelle. Parallel hierzu werfen Schreyers Ausführungen aber auch noch ganz andere brisante Fragen auf: Wenn bundesdeutsche Behörden, Politiker und Wissenschaftler seit 1999 in die Planspiele zur Biosicherheit eingebunden waren, weshalb reagierten sie dann Anfang 2020 derart dilettantisch auf das Auftauchen des SARS-CoV-2-Virus? Und wieso war Deutschland so schlecht auf die Pandemie vorbereitet? Das jedenfalls scheint doch weniger auf eine Verschwörung des „medizinisch-industriellen Komplexes“ hinzudeuten als auf bodenlose Inkompetenz.
Und noch etwas sticht ins Auge, was auch Schreyer in seinem Epilog thematisiert: Die Aufregung über den Tod alter Menschen „an oder mit Corona“ steht in einem krassen Missverhältnis zum sonstigen staatlichen Desinteresse an ihnen. Bislang hat sich keine Bundesregierung ernstlich über die Zustände in der Altenpflege hierzulande gesorgt. Wieso also nun plötzlich der gigantische politisch-ökonomische Kraftakt, um Hochbetagte vor Corona zu retten? Hat das tatsächlich nur etwas mit Machbarkeitswahn zu tun? Oder dienen die Alten als Vorwand für eine Transformation der Gesellschaft hin zur Hygiene-Diktatur, von der manche Politiker und Unternehmer sehr profitieren würden?
Schreyers Buch liefert jede Menge Denkanstöße und Fakten, welche den Leser in die Lage versetzen, das Geschehen während der Corona-Pandemie ein Stück weit besser zu durchschauen. Sichere Antworten auf Fragen wie die nach der wahren Herkunft des SARS-CoV-2-Virus bietet es dahingegen keine.