Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Mit der Wahrheit nahm es der Dominikanermönch nicht so genau, wenn es um den von ihm gehassten Deutschen Orden ging
Die schriftlichen Quellen zur frühen Geschichte Ostpreußens sind eher rar und leider auch nicht immer zuverlässig. Als Musterbeispiel hierfür gilt die „Cronika und Beschreibung allerlüstlichenn, nützlichsten und waaren historien des namkundigenn landes zu Prewssen“ aus der Feder des Dominikanermönches Simon Grunau, welche die Ereignisse bis zum Jahre 1530 in insgesamt 24 Büchern abhandelt. Zunächst schöpften die Wissenschaftler ausgiebig aus dieser Quelle, doch dann begann der führende preußische Landeshistoriker Max Toeppen Grunaus Werk ab 1853 auf vernichtende Art und Weise zu kritisieren.
Die Folge davon war unter anderem ein Eintrag in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ von 1879, in dem die Chronik unumwunden als „Tendenzschrift der schlimmsten Art“ bezeichnet wurde, welche „die Tradition der preußischen Geschichte vergiftet“ habe. Im Einzelnen hieß es, Grunau „entstellt ... seine Vorlagen auf das Aergste zu Gunsten seiner Tendenz, erfindet Daten und Zahlen willkürlich und construirt sich für seine Fabeln eine Anzahl Gewährsmänner, die nur in seinem Kopfe existirt haben“. Und dieser Vorwurf war tatsächlich über weite Strecken berechtigt, wobei die problematische Art und Weise der Darstellung aus Grunaus Lebensweg resultierte.
Vom Mönch zum Lesemeister
Der von vielen als „Tolkemiter Lügenmönch“ bezeichnete Histograph erblickte zur Mitte des 15. Jahrhunderts in einer ostpreußischen Kleinstadt am Frischen Haff das Licht der Welt. Im Jahr 1470 trat er in das Dominikaner-Kloster im nicht weit entfernten Elbing ein. Zehn Jahre später ging Grunau nach Padua, um in der norditalienischen Universitätsstadt ein anspruchsvolles theologisches Studium zu absolvieren. Nach dessen erfolgreichem Abschluss wirkte er von 1483 bis 1502 weiter als Leiter der Elbinger Ordensschule sowie als Lesemeister. Dem folgte dann ein Wechsel nach Danzig, bevor es Grunau im Jahr 1514 nach Liegnitz verschlug. 1517 erfolgte schließlich seine erneute Rückkehr nach Danzig, wo der Dominikaner mit der intensiven Arbeit an seiner Chronik begann. In dieser zeigte er sich unverblümt als scharfer Widersacher des Deutschen Ordens und der Reformation sowie als engagierter Parteigänger der polnischen Krone.
Kriegserlebnisse als Prägung
Seine Heimatstadt war 1440 in den gegen den Orden opponierenden Preußischen Bund eingetreten, der freiwillig auf die Seite des polnischen Königs Kasimir IV. wechselte, was zum Dreizehnjährigen Krieg zwischen dem Deutschen Orden und den Städten des Preußischen Bundes führte. In dessen Verlauf kam es 1456 zur Plünderung und Brandschatzung von Tolkemit durch die Ordensritter. Furchtbare Kriegsgeschehen, die Grunau wahrscheinlich als Kind miterlebte und die ihn nachhaltig prägten. Ebenso dürfte er Zeuge des Ansturms des Deutschen Ordens gegen Danzig gewesen sein.
Späterhin wurde Grunau dann außerdem noch mit der hereinbrechenden Reformation konfrontiert, die auch zu Ausschreitungen gegen Klöster, insbesondere solche der Dominikaner, führte. Gleichzeitig erlebte er die Gegenmaßnahmen des polnischen Königs Sigismund I., den er persönlich kannte und schätzte.
Vor diesem Hintergrund beschwor Grunau den Verfall Preußens und der katholischen Kirche im Lande, wobei er für beide Übel die „teuflische Politik“ der Hochmeister des Deutschen Ordens verantwortlich machte. Um seine Argumentation zu untermauern, manipulierte er sogar historische Urkunden und präsentierte dem Leser allerlei „Wirtshausgeschwätz mit schmutzigen Anecdoten vermischt“, wie der Bibliothekar und Historiker Max Perlbach 1879 durchaus zu Recht in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ schrieb.
Unverzichtbares Unikat
Grunau aktualisierte die „Cronika“ von „Prewssen“, bis er verstarb, was wohl im Jahr 1530 geschah. Ein exaktes Todesdatum ist nicht bekannt. Bei seiner Arbeit an den Annalen ließ der Dominikaner immer wieder Bewunderung für die Prußen, also die nichtdeutschen Ureinwohner des späteren Ostpreußens, erkennen. So fügte er etliche wohlwollende Passagen über die Herkunft, Kultur, Sprache und Religion der Prußen ein, welche seine Chronik letztlich trotz all ihrer Schwächen für die Geschichtswissenschaft interessant machen, denn in manchen Belangen war Grunau so ziemlich der einzige Gewährsmann für die Nachwelt.
Plagiat und Phantasieprodukt
Unter anderem enthalten seine Aufzeichnungen ein kurzes, 89 Einträge umfassendes Wörterbuch der prußischen Sprache. Neben dem Elbinger Deutsch-Preußischen Vokabular von 1350 und drei Katechismen aus der Zeit von 1545 bis 1561 ist dieses das einzige konkrete schriftliche Zeugnis über das ausgestorbene Idiom der ursprünglichen Bevölkerung des Preußenlandes.
Grunau überlieferte zudem eine angeblich prußische Version des Vaterunser-Gebets, die inzwischen aber als eine Mischung kurischer und lettischer Worte angesehen wird. Darüber hinaus stellte sich seine Schilderung des prußischen Zentralheiligtums „Rickoyoto“ im Samland, in dem der „heidnische Papst Kriwe“ residiert haben sollte, als ein von Grunau kreiertes Phantasieprodukt heraus. Beispielsweise existierten weder die ewig grüne Eiche mit ihren drei „Götzenbildern“ noch die „jungfräulichen Priesterinnen“ zu deren Bewachung. Hier hatte Grunau Berichte des Ordenschronisten Peter von Dusburg und des Domherrn Adam von Bremen schlichtweg plagiiert und munter ausgeschmückt. Im letzteren Fall adaptierte und verdrehte der Dominikaner die detaillierte Beschreibung, die Adam um 1070 vom Haupttempel des nordgermanischen Stammes der Svear in Uppsala gegeben hatte.