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Enthemmter Diskurs: Anschläge auf Politiker – Spezialgesetze zum Schutz von Amtsträgern gefordert
Allein zwischen Januar und März registrierte die Polizei in Brandenburg 75 politisch motivierte Straftaten gegen Mandatsträger, Amtsträger und Parteienvertreter. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum war dies eine Zunahme von über einem Drittel, wie aus der Antwort auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linkspartei) hervorgeht. Auch in Brandenburg war es längere Zeit ein sehr gängiger Vorwurf, die AfD sei verantwortlich für die Zunahme der Angriffe auf Politiker.
Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt ein differenziertes Bild. Bei den Straftaten gegen Politiker waren in Brandenburg im ersten Jahresquartal mit 20 Fällen die Grünen am häufigsten Opfer von körperlichen Angriffen. Mit mehr als zehn Fällen waren aber AfD-Politiker am zweithäufigsten betroffen.
Beobachter rechnen inzwischen damit, dass in Brandenburg die Zahlen politisch motivierter Straftaten für das Gesamtjahr 2024 ein Rekordniveau erreichen werden. Vertreter aller Parteien berichten nämlich, dass im Wahlkampf zur Europawahl und den märkischen Kommunalwahlen mitunter in ganzen Straßenzügen Wahlplakate heruntergerissen und zerstört wurden. Der Landtagsabgeordnete Ludwig Scheetz (SPD) sprach sogar davon, dass manche Straße mit heruntergerissenen und zerfetzten Wahlplakaten den Eindruck erwecken, als sei ein Tornado hindurch gezogen.
Im April sind in Schöneiche bei Berlin zudem zwei Kandidaten der Linkspartei beim Plakatieren von Jugendlichen angegriffen worden. Der Fraktionschef der Linkspartei im Landtag, Sebastian Walter, hält an seiner Sichtweise fest, dass die massive Zunahme von Gewalt, Bedrohungen und Beleidigungen auf eine „riesiges Problem mit Rechtsextremismus in diesem Land“ zurückgehe.
Vulgäre Beleidigungen
Im Landtag selbst sorgt der Spitzenpolitiker der märkischen Linken allerdings selbst immer wieder mal für eine aggressive Atmosphäre. So bezeichnete er einen Abgeordneten der AfD-Fraktion während einer Plenarsitzung bereits einmal als „Nazi-Schwein“. Die AfD-Fraktion insgesamt erklärte der Linke zudem ganz offen zum „parlamentarischen Arm des Rechtsterrorismus“. Dem CDU-Fraktionschef Jan Redmann und der CDU-Landtagsabgeordneten Saskia Ludwig warf der Linke-Politiker wiederum vor, „Steigbügelhalter der AfD“ zu sein.
Ausgewogenere Töne sind von den Freien Wählern zu hören. Deren Landtagsabgeordneter Péter Vida spricht mit Blick auf die Entwicklung von einer „Verrohung der Kultur“ und auch einer aus dem Internet übergeschwappten „Enthemmung im Diskurs“.
Dass bei der Schuldsuche für die zunehmende Enthemmung der Hinweis auf Neonazis und die AfD als Triebkräfte möglicherweise ein irreführendes Bild liefert, zeigte sich im Europawahlkampf auch in Berlin. Dort war die Bundeszentrale der SPD in Berlin-Kreuzberg zwei Tage vor der Wahl innerhalb weniger Stunden gleich zweimal das Ziel von politisch motivierten Straftaten. Die Aktion, bei der ein Schriftzug auf die Fassade gemalt wurde und Fahnen, darunter die deutsche und die Berlin Flagge, mit roter Farbe beschmiert wurden, scheint in einem Zusammenhang zu stehen mit den Protesten gegen den Gazakrieg und hier insbesondere gegen deutsche Waffenlieferungen an Israel.
Unklare Protestbotschaften
Nur wenige Stunden später schmierten Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ den Schriftzug „sei ehrlich“ an die Fassade des Willy-Brandt-Hauses in der Wilhelmstraße. Auch die Parteizentrale der Berliner SPD im Wedding war am Freitag vor der Europawahl großflächig mit roter Farbe und dem Schriftzug „Letzte Warnung“ besprüht worden. Wie ein Sprecher des SPD-Landesverbandes erklärte, sei nicht klar, worauf sich diese Botschaft
bezieht.
Angesichts der Angriffe auf Politiker und ehrenamtliche Wahlkampfhelfer haben sich die Innenminister der deutschen Länder mittlerweile für eine Verschärfung des Strafrechts ausgesprochen. Unter Strafe stellen wollen die Minister unter anderem das sogenannte Stalken von Amts- und Mandatsträgern. Über den regulären Beleidigungs-Straftatbestand hinaus steht mit dem Paragrafen 188 des Strafgesetzbuches schon jetzt „üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ unter Strafe.
Weitere Spezialgesetze zum Schutz von Politikern können allerdings auch eine Wirkung entfalten, die von den Innenministern kaum gewollt sein kann. Gesonderte Regelungen für Politiker haben das Potential, die Politikverdrossenheit im Land zu befeuern. Angesichts begrenzter Ressourcen und überlasteter Strafverfolgungsbehörden können gesonderte Regelungen dazu führen, dass sich die Bürger mit der Ausbreitung von Gewaltkriminalität im Alltag allein gelassen fühlen, während der Schutz von Politikern höchste Priorität hat.