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Biden und Putin

Strategiewechsel im Weißen Haus

Russland gewinnen, um Chinas Einfluss einzudämmen: USA korrigieren ihre geopolitische Taktik

Manuela Rosenthal-Kappi
16.06.2021

Noch vor Joseph Bidens erster Europareise in seiner Funktion als neuer US-amerikanischer Präsident deutete sich ein Strategiewechsel in der Außenpolitik des Weißen Hauses an, und zwar sowohl das Verhältnis zu den europäischen Bündnispartnern als auch die Haltung gegenüber Russland und China betreffend.

Zunächst fällt der Verzicht auf US-Sanktionen gegen das umstrittene Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 ins Auge. Hatten die Amerikaner vor Kurzem noch versucht, die Fertigstellung durch die Blockade russischer Verlegeschiffe zu verhindern, so heißt es nun, die Inbetriebnahme sei ein Faktum. Offenbar will Biden das Verhältnis zur deutschen Regierung, die strikt an Nord Stream 2 festgehalten hat, nicht weiter belasten. Denn, so lassen sich die jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten deuten, dessen Hauptaugenmerk liegt nun auf China. Das Feindbild Russland rückt in den Hintergrund. Für die USA ist es wichtig, gemeinsam mit der EU eine demokratische Allianz gegen China zu bilden und dessen Aufstieg zur Weltmacht von morgen zu verhindern.

Für den Umgang mit Russland schlägt Biden überraschend moderate Töne an: „Wir wollen eine stabile, vorhersehbare Beziehung“, sagte er vor dem bevorstehenden Treffen mit Putin in Genf. Das sieht Putin offensichtlich ähnlich, wenn er sagt, dass es eigentlich keine Unstimmigkeiten mit den USA gebe. Ob das Treffen in Genf den gewünschten Erfolg haben wird, hängt wohl in erster Linie davon ab, inwieweit Biden bereit ist, die Sanktionen gegen Russland zu lockern. Putin hatte dies immer wieder gefordert.

Der russische Präsident fühlt sich durch die Isolation der vergangenen Jahre vom Westen in der Entwicklung seines Landes behindert. Im ersten Interview, das er nach langer Zeit einem US-Sender gegeben hat, kam er auf die NATO-Osterweiterung zu sprechen und bezichtigte den Westen, das nicht schriftlich festgehaltene Versprechen, die NATO nicht bis an die Grenzen Russlands zu erweitern, gebrochen zu haben. Als Präsident habe er sich stets dafür eingesetzt, sein Land nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder zu stärken.

Inzwischen wächst in Washington die Einsicht, dass es der größte geostrategische Fehler von Bidens Vorgängern war, Russland immer weiter in die Arme Pekings zu treiben und sehenden Auges zuzulassen, dass Moskau und Peking sich als strategische Partner betrachten. Und das nicht nur im wirtschaftlichen, sondern vor allem auch im militärischen Bereich.

Größter geopolitischer Fehler

China weitet seit Jahren seinen Einfluss im postsowjetischen Raum aus. Die wirtschaftliche Schwäche Russlands spielt dem Reich der Mitte dabei in die Hände. In den asiatischen ehemaligen Sowjet-Republiken hat Peking die dortigen Regierungen mit Krediten von sich abhängig gemacht und mischt sich verstärkt in deren Politik ein. Für den Ausbau seines Seidenstraßen-Projekts übt Peking starken Einfluss auf Weißrussland, Moskaus engstem Verbündeten, aus. Seit 20213 haben chinesische Investitionen dort stark zugenommen, wobei chinesische Investoren selbst die größten Nutznießer sind.

Aus einer schwachen Position heraus versucht Russland sich mit den verbliebenen Verbündeten Weißrussland, Iran und Syrien als Weltmacht zu behaupten. Als Militärmacht mit wirkungsvollen neuen Waffensystemen hat der russische Bär zwar noch einige Bedeutung, jedoch kann die russische Wirtschaft in dem Maße, wie fossile Energieträger unbedeutender werden, die Kosten militärischer Aufrüstung auf Dauer nicht stemmen.

Der Kurswechsel gegenüber Russland findet auch im Strategiekonzept der NATO Eingang. Erstmals wird in dem neu erarbeiteten Grunddokument China als Gefahr für die Sicherheit des Bündnisses erwähnt. China stelle eine ernste Gefahr im Bereich der Telekommunikation, der Luft- und Raumfahrt sowie im virtuellen Raum dar. Das nordatlantische Bündnis beunruhigt zudem die verstärkte militärische Zusammenarbeit Russlands und Chinas. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, einer der schärfsten Kritiker Putins, lud den Präsidenten ein, am nächsten Treffen des NATO-Russland-Rats teilzunehmen: „Wir haben viel zu besprechen, was im gemeinsamen Interesse von NATO und Russland liegt.“

Vor dem Treffen in Genf haben Biden und Putin deutlich gemacht, dass dies ihre grundsätzliche Haltung nicht ändern werde. Die USA werden versuchen, Russland gegenüber zu China zur Neutralität zu bewegen, sollte es zu einer Konfrontation zwischen den USA und China kommen. Laut Einschätzung russischer Experten wird Putin sich dem kaum widersetzen, zumal die Annäherung an die Chinesen weniger aus Sympathie entstanden, sondern weil ihm nicht viel anderes übrig geblieben sei.

Allerdings wird Putin sich ohne Zugeständnisse des Westens in Bezug auf den Krim-Anschluss und die Ukrainekrise kaum zugänglich zeigen.

Aus US-Sicht hat die Verständigung mit den Europäern über den Umgang mit Russland und China oberste Priorität. Das Ziel ist es, Moskaus Abhängigkeit von China zu reduzieren. Biden kann nicht riskieren, dass Russland sich dem Konkurrenten China komplett zuwendet. Sein Bestreben ist kein neuer Kalter Krieg, sondern die USA zu stärken und sie wieder als führende Schutzmacht der Demokratien weltweit zu positionieren.


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Kommentare

Chris Benthe am 18.06.21, 09:57 Uhr

Jetzt endlich greift wohl allmählich die Erkenntnis, dass man so nicht weitermachen kann. Das ist absolut positiv, Biden hin oder Biden her. Russland ist zudem ein wichtiger Absatzmarkt für Europa und die USA, man braucht sich gegenseitig. Dringender denn je. Die Zumutungen und Einmischungen des Westens (Raketenstationierung, Ukraine, Nord-Stream, Putins Innenpolitik, etc.) müssen aufhören, die Sanktionen aufgehoben werden, und zwar rasch. Speziell Deutschland stünde es gut an, sich für diesen neuen Kurs stark zu machen und konstruktiv neu zu beginnen, und sei es auch "nur" im Interesse unserer Wirtschaft, die, auch strukturell, mit dem Rücken zur Wand steht. Beten wir, dass diese positive Entwicklung in Gang kommt.

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