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Mit seinem Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz zeigt der neue US-Vizepräsident, was man in Washington von den Europäern und insbesondere den Deutschen hält. Diese reagieren verstimmt. Der Bericht eines Beobachters
Als James David Vance die Hauptbühne im „Bayerischen Hof“ in München betrat, eröffnete er eine Rede mit sehr klarer und sympathischer Sprache: Der 40-jährige US-Politiker dankte zunächst den Organisatoren der „Munich Security Conference“ (MSC) für die Organisation eines „so unglaublichen Ereignisses“. Ja er sei „glücklich, hier zu sein“.
Vor der Konferenz war Vance diplomatisch korrekt mit Bundeskanzler Scholz zur KZ-Gedenkstätte Dachau gereist, um dort der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Ebenso ging er in seiner Ansprache auf die Verletzten des Anschlags am Vortag auf eine Gewerkschaftsdemonstration in München ein: „Unsere Gedanken und Gebete sind bei ihnen und werden es auch bleiben.“
Zeigte sich darin viel aufrichtiges Mitgefühl, nannte der Vizepräsident dann sein wichtigstes Anliegen. Die Trump-Administration sei sehr betroffen angesichts der europäischen Sicherheit, und sie sei überzeugt, dass man zu einer vernünftigen Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine kommen könne. Es sei hauptsächlich nicht die Bedrohung seitens Russlands gegen Europa, und es sei auch nicht China oder irgendeine äußere Macht, die ihn mit Sorge erfülle. Vielmehr sorge ihn eine innere Bedrohung – der Rückzug Europas von einigen seiner grundlegendsten Werte, die der Kontinent mit den Vereinigten Staaten von Amerika teile: Freiheit und demokratische Werte.
In Gefahr sieht Vance diese auch durch eine ungesteuerte „Massenmigration“ sowie schließlich auch dadurch, dass die etablierten politischen Kräfte ein Gespräch mit populistischen Parteien – sowohl von links als auch von rechts – nicht suchen würden. Es gebe eine Pflicht zum Dialog. In den Ohren vieler Zuhörer kam das vor allem als Kritik am Umgang mit der Partei AfD in Deutschland an. Zum Schluss rief der republikanische Politprofi sogar Papst Johannes Paul II. zum Zeugen auf. Das aus Polen stammende vormalige geistliche Oberhaupt der katholischen Kirche habe gesagt: „Fürchtet euch nicht. Wir sollen keine Angst vor unserem Volk haben, selbst, wenn es Ansichten äußert, die der Führung widersprechen.“ Vance endete mit der in den USA gebräuchlichen Formel „God bless you all“ (Gotte segne Sie alle).
Europäer kalt erwischt
Tatsächlich lassen sich einige Passagen der Rede aus europäischer Sicht kritisieren. Doch die Aufforderung an die Europäer, mehr für die eigene Verteidigung zu tun, war dann doch sehr berechtigt. Auch die positive Vision für das Sicherheitsbündnis, keine Angst vor dem Gewissen und den Meinungen der eigenen Leute zu haben, überzeugte.
Insofern ließ es sich nicht ganz verstehen, dass sowohl Kanzler Olaf Scholz wie Verteidigungsminister Boris Pistorius auf den Weckruf aus Washington wie zu Tode Erschrockene reagierten. Immerhin gestand Pistorius ein, dass Deutschland in den zurückliegenden Jahren viel zu wenig für die militärische Verteidigung ausgegeben habe.
Scholz präzisierte das in seiner Rede am folgenden Tag dann: Die Ausgaben im Verteidigungshaushalt müssten nach dem Maßstab der Bedrohung durch Russland steigen. Mit der Feststellung einer Notlage könnten zusätzlich 30 Milliarden Euro bis 2028 eingesetzt werden. Jedes weitere Prozent bedeute noch einmal 43 Milliarden Euro pro Jahr. Scholz bekannte sich im großen Konferenzsaal des „Bayerischen Hofs“ zudem zu einer starken Rüstungsindustrie. In einer anschließenden Fragerunde gab er jedoch auf die Frage, ob er selbst genug getan habe, allerdings keine Antwort. Dafür hob er eine starke wirtschaftliche Rolle der Ukraine nach einem Friedensschluss hervor. Realistischer klang da schon Oppositionsführer Friedrich Merz, der vor einem Bruch der transatlantischen Beziehungen warnte.
Hochamt der Sicherheitspolitik
Zum weltweit wichtigsten Expertentreffen in Sachen Sicherheitspolitik waren über 50 Staats- und Regierungschefs und mehr als 150 Minister aus aller Welt nach München gereist. Die Leitung lag zum letzten Mal beim erfahrenen deutschen Diplomaten Christoph Heusgen, der zuvor sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und davor Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen in New York war. Heusgen wird für den norwegischen Politiker Jens Stoltenberg Platz machen, der bis 2024 NATO-Generalsekretär war und aktuell noch Finanzminister seines Landes ist.
Weit wichtiger für den Verlauf der Konferenz als die Politiker sind die vielen verteidigungspolitischen Experten aus der EU, aus den arabischen Staaten, dem globalen Süden und aus Asien sowie nicht zuletzt die Militärs aus vielen Armeen der Welt. In den zahllosen „Panels“ bringen diese Vertreter ihre Kenntnis von den zahlreichen Krisenherden der Welt ein. So schildert ein Beitrag zum Problem afghanischer Flüchtlinge, dass im Nachbarland Pakistan mindestens 2,4 Millionen geflohene Afghanen gezählt wurden. Dass in Deutschland nicht einmal eine halbe Million afghanische Flüchtlinge leben, lässt erahnen, welche Dimension das Problem für Pakistan hat.
Die Themenbreite der Münchner Konferenz ist enorm. Die einzelnen Veranstaltungen sind mit „Die EU in der Welt“, „The U.S. in the World“, „Deutschland in der Welt“ oder „Frieden durch Stärke – ein Plan für die Ukraine“, „Globale demokratische Trends“, „NATO, die U.S. und die transatlantische Sicherheit“ überschrieben. Um die zahllosen Vorträge und Diskussionen überhaupt unterbringen zu können, werden das Hotel „Bayerischer Hof“ und einige Nachbargebäude vor der MSC fast völlig um- und ausgeräumt. Eine vorbildliche logistische Leistung.
Die Gewähr der Sicherheit für die Teilnehmenden ist eine ebenso beeindruckende Leistung: Polizeikräfte aus mehreren Bundesländern und von der Bundespolizei helfen der Polizei des Freistaates Bayern, den Tagungsort weiträumig abzusichern. Ihre Zahl wurde diesjährig nochmals aufgestockt und betrug mehr als 5000. Fast permanent sichern Hubschrauber das Tagungszentrum aus der Luft. Für alle Besucher, auch die Journalisten, bedeutet dies wiederholende Kontrollen an Checkpoints und Einlass-Schleusen. Im Hotel selbst ist es nur wenigen Besucherkategorien erlaubt, sich frei zu bewegen. Deshalb werden die Journalisten „gepoolt“ und gemeinsam an den Veranstaltungsort gebracht.
Scholz' Antwort auf Vance
In seiner Rede „Germany in the World“ rückte Bundeskanzler Olaf Scholz die Sorgen der deutschen Regierung in den Mittelpunkt. Der Noch-Kanzler begann mit einem Dank an Vizepräsident Vance, dass dieser mit ihm am Vortag das etwa 20 Kilometer entfernte ehemalige nationalsozialistische Konzentrationslager Dachau besucht habe. Der Appell „Nie wieder!“, so Scholz, entspreche der historischen Verpflichtung Deutschlands. Die – von Vance zuvor in einem Interview positiv genannte – AfD hingegen spreche von einem „Vogelschiss“ in der Geschichte. Der Eingriff dieser Partei in die Demokratie sei erheblich. Deshalb sei es nicht zu akzeptieren, wenn „Außenstehende“ – Scholz meinte die Trump-Administration – „in unsere Wahlen und die demokratische Meinungsbildung eingreifen. Das gehört sich nicht, erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten. Das weisen wir entschieden zurück. Wie es mit der Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst. Nie wieder Faschismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Angriffskrieg“, so Scholz wörtlich.
Ob der Kanzler gegenüber den USA, die doch einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen den historischen Nationalsozialismus geleistet haben, nicht allzu hyperempfindlich reagierte, ließe sich durchaus hinterfragen. Immerhin schloss Scholz einlenkend an, die transatlantische Gemeinschaft sei es, die Freiheit und Demokratie gegen ihre Feinde verteidige. Im Blick auf die USA sei er sich sicher, dass es dieses gemeinsame Ziel gebe.
In Bezug auf den Ukrainekrieg erklärte Scholz, dass Deutschland fest an der Seite der Ukrainer stehe. Über einen Frieden dürfe nicht ohne deren Zustimmung entschieden werden, so der Kanzler. Zudem sei es richtig, wenn die Ukraine am Ende jeder Verhandlungslösung über Streitkräfte verfüge, mit denen sie jeden etwaigen russischen Angriff abwehren könne. Dies verband Scholz mit der Forderung einer Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie und ihrer transatlantischen Verschränkung. Wobei deren Begrenzung in Deutschland in der Vergangenheit stets von Sozialdemokraten gefordert und robust durchgesetzt wurde.
Die Zukunft der Ukraine
Die in diesem Jahr besonders beachtete Sicherheitskonferenz bot nicht zuletzt dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wie schon im Vorjahr eine Bühne. Kern seiner Botschaft war: Europa braucht eigene Streitkräfte. Diese müssten insbesondere stark gegenüber Russland sein. Allerdings könne eine solche Armee die NATO nicht ersetzen. Er plädierte weiter für eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft. Außerdem werde sein Land nie ein bilaterales russisch-amerikanisches Friedensabkommen akzeptieren, wenn dieses über ukrainische Köpfe hinweg verhandelt werde: „Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine. Keine Entscheidung über Europa ohne Europa“, so Selenskyj.
In diesen kämpferischen Worten klangen Zweifel an, ob die USA auch weiterhin Bündnispartner von Europa sein werden. Selenskyj machte keinen Hehl aus seiner Feindschaft zum russischen Präsidenten: „Putin kann keinen Frieden anbieten, weil er ein Lügner ist.“ Der Ukrainer zählte aber trotz seiner Skepsis gegenüber Amerika zu den Unterstützern Trumps. Mit ihm und seinem Team müsse man sprechen – eine wichtige diplomatische Investition nannte er das in einer anschließenden Befragung. Am Schluss wurde der Präsident des im Krieg stehenden Landes mit langem Beifall verabschiedet. Über weitere Zusagen der westlichen Partner oder gar die Ausgestaltung eines Friedensabkommens wurde im Laufe des internationalen Treffens nichts bekannt.
Während der Konferenz gab es auch vertrauliche Runden. „Unter drei“ werden sie im Journalistensprech genannt. Schreiben lässt sich dazu soviel: Es gibt in der deutschen Politik durchaus Zweifel, ob die NATO einen europäischen Frieden auch in Zukunft sichern kann. In jedem Fall braucht es fünf bis sieben Jahre, um die militärischen Fähigkeiten weiter auszubauen. Auch personell. Falls ein Abzug amerikanischer Truppen früher erfolgen würde, oder die USA ihre Präsenz reduzieren würden, entstünde ein ernst zu nehmendes Problem. Andererseits hat US-Verteidigungsminister Pete Hegseth nicht damit gedroht, dass die USA ihre Truppen aus Teilen Europas abziehen würden.
Und so gibt es eine vage Vermutung zur Taktik der neuen US-Regierung: nämlich, dass sie lediglich ein wenig Chaos erzeugen wolle, um die europäischen Verbündeten zur Aufrüstung und zur vollen Übernahme ihrer Verteidigungsverantwortung zu zwingen. Dann wären die gegenwärtigen Störungen rein atmosphärischer Art.
Bemerkenswert ist nicht zuletzt auch folgender Satz von Vance: „Es ist die Aufgabe der Demokratie, diese großen Fragen an der Wahlurne zu klären.“
Dr. Roger Töpelmann ist freier Journalist. Zuvor war der studierte Theologe unter anderem Presse- und Öffentlichkeitsbeauftragter in der Evangelischen Militärseelsorge und Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt. www.rogertoepelmann.de