09.07.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Beispiele des Brutalismus: Die Unibibliothek Köln (großes Bild), die Kirche St. Gallus in Lichtensteig, Schweiz (l.), und das Atelier Bardill im ebenfalls schweizerischen Scharans (r.)
Bilder: Wikimedia, © Raimond Spekking; Leiju; BrutarchitektBeispiele des Brutalismus: Die Unibibliothek Köln (großes Bild), die Kirche St. Gallus in Lichtensteig, Schweiz (l.), und das Atelier Bardill im ebenfalls schweizerischen Scharans (r.)

Architektur

Verachtet und geliebt

Die Betonmonster der 1960er und -70er Jahre prägen bis heute zahllose Stadtbilder in ganz Europa: Der „Brutalismus“ gilt seinen Kritikern als die hässlichste Stilepoche der Baugeschichte

Wolfgang Kaufmann
16.06.2025

Architektur ist Geschmackssache. Das gilt auch und gerade für Bauwerke im Stil des Brutalismus. Diese Bezeichnung beruht zwar eigentlich nur auf dem französischen Begriff „béton brut“ für rohen, sichtbaren Beton, tatsächlich aber strahlen brutalistische Gebäude oft auch eine brachiale und geradezu überwältigende Hässlichkeit aus. Das gilt hierzulande beispielsweise für das ehemalige Zentrale Tierlaboratorium der Freien Universität Berlin mit dem Spitznamen „Mäusebunker“, die Bruder-Klaus-Feldkapelle bei Mechernich oder den Wasserturm von Backnang.

Ein typisches Kennzeichen der brutalistischen Architektur ist neben der ebenso exzessiven wie schonungslosen Verwendung von nacktem Beton die monumentale Massivität der Bauwerke, welche meist simple beziehungsweise monotone geometrische Formen samt einer Vielzahl von rechten Winkeln aufweisen. Dazu kommt der Verzicht auf dekorative Elemente jeglicher Art.

Nach dem Willen ihrer Schöpfer sollen die Gebäude besonders funktional sein, was sich in der Praxis aber oft anders darstellt. Daher witzelte Oliver Elser vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main durchaus zu Recht: „Brutalistische Architektur erkennt man daran, dass man den Eingang nicht findet.“ Dabei verfolgen die Schöpfer brutalistischer Bauwerke neben der angestrebten, aber vielfach dann doch nur begrenzten Funktionalität noch ein weiteres Ziel, nämlich die uneingeschränkte Zugänglichkeit für alle Mitglieder der Gesellschaft. Trotzdem aber polarisieren ihre Kreationen: Entweder werden die Betonklötze geliebt und als Quelle der Inspiration verherrlicht oder gehasst und als Stein des Anstoßes betrachtet.

Besonders beliebt im Sozialismus
Die Kritiker des brutalistischen Stils sprechen von einem „Knüppelschlag ins Gesicht der Öffentlichkeit“ und „ästhetischen Vandalismus“. Zudem stören sie sich an der „destruktiven grauen Energie“, die von den „Monstern aus Beton“ ausgehe und für einen „deprimierenden, kalten, inhumanen“ Eindruck sorge.

Demgegenüber loben die Bewunderer die „derbe Poesie“ der „kompakten, disziplinierten Architektur“ sowie die „ethische Bauweise“, welche nichts zu verbergen habe. Ebenso ist von „kraftvoller, robuster Ästhetik“ die Rede. Und vielfach wird auch noch die „zukunftsgerichtete, futuristische Aura“ der Bauwerke gefeiert. Manchmal heißt es in diesem Zusammenhang sogar, die Architekten hätten eine „Heldentat“ vollbracht, indem sie sich dem „ideologischen Geschmacksterror“ der rückschrittlichen Liebhaber konventioneller Baustile widersetzten.

Auf jeden Fall war der Brutalismus ein Kind seiner Zeit, das heißt eine Begleiterscheinung der ökonomischen, politischen und mentalen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Die ersten brutalistischen Bauwerke tauchten um 1950 herum auf, bevor sich der neue Stil dann in den 1960er Jahren über alle Kontinente verbreitete und bis weit in die 1980er hinein präsent blieb.

Somit gehörte der Brutalismus zu den Ausgeburten des Kalten Krieges. Denn damals versuchten staatliche Institutionen, nach außen und innen Macht und Autorität auszustrahlen – dazu brauchte es die gnadenlose Präsenz unangreifbar daherkommender Gebäude, welche auf die Betrachter wie Atombunker wirkten, was manchmal durchaus Absicht war.

Besonders häufig wurde diese politische Symbolik in der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Staaten Ost- und Südosteuropas eingesetzt. Außerdem sollte der Brutalismus hier auch Ausdruck der ideologischen Werte Gleichheit und Gemeinschaftssinn sein und parallel dazu noch von der Ewigkeit der Herrschaft der „Arbeiter-und-Bauern-Klasse“ künden. Infolgedessen ist vor allem der Balkan mit charakteristischen brutalistischen Gebäuden sowie auch Denkmälern übersät. Dazu zählen das Postamt von Skopje in Mazedonien, das wie eine gestrandete „Fliegende Untertasse“ anmutende Busludscha-Denkmal in Bulgarien, die „Drei Fäuste“ im Bubanj-Gedenkpark nahe der serbischen Stadt Nisch und das Kriegerehrenmal im „Tal der Helden“ unweit der bosnischen Ortschaft Tjentischte.

Gegenbild zur Postmoderne
Während man in Osteuropa bis zum Zusammenbruch des Sozialismus am brutalistischen Stil festhielt, begann die Abkehr im Westen schon Mitte der 1970er Jahre. In Großbritannien beklagte der damalige Thronfolger Prinz Charles mit Blick auf die Pläne zur Umgestaltung der Londoner Innenstadt die „Hässlichkeit des Modernismus“. Die Reaktion des Präsidenten des Royal Institute of British Architects, Owen Luder, war zunächst ein dreistes: „Heul doch!“ Der heutige britische Monarch ließ allerdings nicht locker und verspottete das neu gebaute Royal National Theatre in London als „Atomkraftwerk“.

Dem folgte eine ausgesprochen wirkmächtige Rede, in der Charles die brutalistischen Bauwerke im Zentrum des Vereinigten Königreichs als „monströse Karbunkel im Gesicht eines geliebten und eleganten Freundes“ bezeichnete und die These aufstellte, dass der Brutalismus die englischen Städte stärker verunstaltet habe als die deutschen Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs.

Heute werden vor allem die „schlechte Klimabilanz“ der Betonklötze und die darin verbauten umweltschädlichen Stoffe von Asbest bis Zement kritisiert. Darüber hinaus bemängeln Praktiker die schwierige Instandhaltung der Bauten sowie deren miserable Optik aufgrund von Verschmutzungen, Algenbewuchs und Verwitterung. Dennoch erlebt der Brutalismus seit Beginn des 21. Jahrhunderts eine gewisse Renaissance. Dies begründete der deutsche Architekturkritiker Nikolaus Bernau folgendermaßen: „Angesichts der vielen ... hohl klingenden Granitfassaden der gierigen Postmoderne erscheint der Brutalismus nun als zwar raues aber eben ,ehrliches Gegenbild', als die gebaute Erinnerung an den ausgleichenden sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat, in dem sozialer Egoismus als degoutant galt.“

Außerdem macht zurzeit der sogenannte Öko-Brutalismus Furore: Durch die Hinzufügung von reichlich Grün werden brutalistische Gebäude optisch auf „Nachhaltigkeit“ getrimmt. Vor diesem Hintergrund läuft seit mehreren Jahren eine Kampagne unter dem Motto „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS