Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Vor 80 Jahren wurde der nach Roosevelts Lieblings- und Finanzminister benannte Plan für ein besiegtes Deutschland publik
Nachdem sich die politischen Führer der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion auf der Teheran-Konferenz Ende 1943 grundsätzlich darauf geeinigt hatten, Deutschland zu zerstückeln und die Ostgebiete des Reiches abzutrennen, wurden in London und Washington zahlreiche konkrete Formen der alliierten Deutschlandpolitik nach dem Kriege diskutiert. Dabei votierte das US-Außenministerium immer wieder gegen eine erzwungene Teilung und für den Erhalt der deutschen Wirtschaftskraft. Ganz ähnlich fiel der Inhalt des vom Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Nordwest- und Mitteleuropa, Dwight D. Eisenhower, autorisierten „Handbuches für die Militärregierung in Deutschland“ aus. Das wiederum stieß auf die heftige Kritik des US-Finanzministers Henry Morgenthau, der stets für kompromisslose Härte gegenüber „diesen Bestien“, wie er zuweilen die Deutschen nannte, eintrat.
„Henny-Penny“ war nicht irgendein Kabinettsmitglied. Vielmehr stand kein Minister US-Präsident Franklin D. Roosevelt näher als dieser „nette Kerl“, wie FDR ihn nannte. „For Elinor from one of two of a kind“ (Für Elinor von einem von zweien von einer Sorte), schrieb der Präsident auf ein Bild, das er Morgenthaus Ehefrau schenkte (siehe Foto).
FDR und Churchill waren dafür
Während einer Kabinettssitzung am 25. August 1944 teilte Roosevelt Morgenthaus Bedenken hinsichtlich der Gefahren einer zu milden Behandlung Deutschlands und setzte einen Ausschuss ein, dessen Aufgabe darin bestehen sollte, deutlich repressivere Richtlinien für die künftige Besatzungspolitik auszuarbeiten. Am 2. September legte Morgenthaus rechte Hand Harry Dexter White dem Gremium einen dementsprechenden Entwurf mit dem Titel „Suggested Post-Surrender Program for Germany“ vor, der später als Morgenthau-Plan bekannt wurde.
Dieser enthielt insgesamt 14 Punkte, beginnend mit der „vollständigen Entmilitarisierung Deutschlands“ und der „totalen Zerstörung der gesamten deutschen Rüstungsindustrie“ einschließlich aller damit verbundenen „Schlüsselindustrien“. Darüber hinaus forderte Morgenthau die komplette Deindustrialisierung des Ruhrgebietes und einiger weiterer Industriereviere des Deutschen Reiches sowie die Vertreibung der dortigen Fachkräfte aufs Land. Außerdem plädierte der US-Finanzminister für Reparationen, „deutsche Zwangsarbeit außerhalb Deutschlands“, eine rigide ideologische Umerziehung und die „politische Dezentralisierung“ durch die „Wiedereinsetzung der Landesregierungen in jedem der Länder“. Und es solle auch keinem Deutschen mehr „erlaubt sein, Luftfahrzeuge zu führen“. Das Deutsche Reich sollte zerschlagen werden. Die Sowjetunion sollte das nördliche Ostpreußen erhalten, Polen den jeweils südlichen Teil Ostpreußens und Schlesiens sowie Frankreich das Saargebiet und linksrheinische Gebiete zwischen Rhein und Mosel. Im Norden und im Süden sollte es „zwei autonome unabhängige Staaten“ geben, wobei der Südstaat mit Österreich durch eine Zollunion verbunden sein sollte. Der verbleibende Rest, ein breiter Streifen im Westteil Deutschlands, der vom Ruhrgebiet und dem Rheinland bis über den Nord-Ostsee-Kanal hinaus zur dänischen Grenze reichte, sollte wegen seiner ihm zugeschriebenen besonderen ökonomischen Bedeutung als internationale Zone von den Vereinten Nationen verwaltet werden.
Am 15. September 1944 vereinbarten Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill während der zweiten Québec-Konferenz die Umsetzung „dieses Programms“, um „Deutschland in ein Land mit vorwiegend agrarischem und ländlichem Charakter“ zu verwandeln. Das führte zu lautstarken Protesten des US-Außenministers Cordell Hull und seines britischen Amtskollegen Anthony Eden. Außerdem wandte sich auch Roosevelts Kriegsminister Henry Stimson vehement gegen den Plan und bezeichnete diesen als „Verbrechen gegen die Zivilisation“, dessen Folgen nur „neue Spannungen und Ressentiments“ wären und „die Schuld der Nazis in Vergessenheit geraten ließen“.
Fünf Tage nach der zweiten Québec-Konferenz, am 21. September 1944, veröffentlichte der prominente Journalist Andrew Russell (Drew) Pearson von der „Washington Post“ den von ihm bejahten Morgenthau-Plan. Allerdings erhob sich sofort ein Sturm der Entrüstung in den USA. Den Plan beziehungsweise dessen Veröffentlichung vor Kriegsende kritisierte der republikanische Präsidentschaftskandidat Thomas E. Dewey mit Blick auf die deutschen Streitkräfte: „Jetzt kämpfen sie mit dem Wahnsinn der Verzweiflung.“ Und tatsächlich führte die Ausschlachtung des Morgenthau-Planes durch die NS-Propaganda zu einer Verstärkung der Kriegsanstrengungen des Dritten Reiches. Selbst der Widerstand gegen Adolf Hitler begegnete den US-Amerikanern nun mit großem Misstrauen. Angesichts der massiven negativen öffentlichen Reaktionen steckte Roosevelt sofort zurück und log voller Dreistigkeit: „So etwas habe ich nicht genehmigt. Ich bin sicher, dass ich es nicht getan habe ... Ich habe überhaupt keine Erinnerung.“
Also verschwand der Morgenthau-Plan Ende September 1944 in der Schublade. Dessen Urheber blieb allerdings weiter Finanzminister und trat erst im Juli 1945 zurück, nachdem sein Gönner und Freund Roosevelt gestorben war. Dessen Nachfolger Harry S. Truman desavouierte permanent Morgenthau, den er als ignoranten „Judenjungen“ bezeichnete.
Langfristige Auswirkungen
Das heißt aber nicht, dass die Ideen Morgenthaus damit hinfällig geworden wären. Hiervon zeugt nicht zuletzt die Besatzungs-Richtlinie JCS 1067 der Vereinigten Stabschefs der US-Streitkräfte, die vom Mai 1945 bis Juli 1947 Gültigkeit hatte und die Militärregierung der Vereinigten Staaten (OGMUS) explizit anwies, „keine Schritte in Richtung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Deutschlands zu unternehmen“. Dabei sorgte eine einflussreiche Gruppe von Anhängern Morgenthaus um Colonel Bernard Bernstein für eine möglichst wortgetreue Auslegung dieser Direktive. Weitere Elemente des Morgenthau-Planes, die sogar dauerhaft Realität wurden, waren die Annexion der deutschen Ostgebiete durch Polen und die Sowjetunion sowie die Teilung des Deutschen Reiches, wenn auch nicht in der vorgeschlagenen Form. Darüber hinaus musste Deutschland umfangreiche Reparationen leisten und bekam parallel zu den Umerziehungsmaßnahmen ein föderales System oktoyiert – ganz so, wie es die Punkte Vier bis Sechs des Morgenthau-Planes vorsahen.
Insofern sind die Behauptungen von Historikern wie Wolfgang Benz, dass der Morgenthau-Plan keinerlei Auswirkungen auf die spätere Besatzungs- und Deutschlandpolitik der Siegermächte gehabt habe, absolut unzutreffend. Wobei Benz sogar noch die zynische These aufstellte, Morgenthau sei es als Anhänger agrarromatischer Ideen nicht nur um die Verhinderung künftiger Kriege von deutschem Boden aus gegangen, sondern auch um die Umsetzung einer positiven Utopie.