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Die meisten Übersiedler, Flüchtlinge und Freigekauften aus der DDR blieben dauerhaft im Westen, aber einige zog es später wieder zurück: DDR-Übersiedler im Notaufnahmelager Gießen
Foto: pa/imageBrokerDie meisten Übersiedler, Flüchtlinge und Freigekauften aus der DDR blieben dauerhaft im Westen, aber einige zog es später wieder zurück: DDR-Übersiedler im Notaufnahmelager Gießen

Real existierender Sozialismus

Wenn ehemalige Bewohner der DDR zurückwollten

Den Umgang mit Rückkehrwilligen hatte das SED-Regime durch diverse vertrauliche Dienstvorschriften geregelt

Heidrun Budde
18.04.2024

Für fünf Deutsche, die 1982 aus dem Westen in die DDR zurückkehren wollten, wurde das Aufnahmeverfahren zum Albtraum. Ihr Wunsch war die Rückkehr in die Heimat, aus der sie einst geflohen waren. Die Akten nennen die Beweggründe nicht. Gab es pflegebedürftige Angehörige, die Hilfe und Fürsorge brauchten? Kamen die Antragsteller im Westen nicht zurecht oder hatten sie schlichtweg Heimweh?

Für die SED-Funktionäre waren diese persönlichen Gründe nebensächlich. Sie unterzogen die Rückkehrer einer gründlichen Überprüfung mit stundenlangen Verhören und holten hinter dem Rücken der Betroffenen „operative Informationen“ ein. Laut der Dienstvorschrift Nr. 032/78 des DDR-Innenministers war der Zweck, „das Eindringen von Personen, ... die einen Kampf gegen die DDR führen, von anderen feindlich negativ eingestellten Personen, von kriminellen oder asozialen Elementen ... zu verhindern“.

Die fünf Antragsteller von 1982 besaßen die „DDR-Staatsbürgerschaft“. Am 20. Februar 1967 unterzeichnete der Staats- und Parteichef Walter Ulbricht, der 1961 die Mauer hatte bauen lassen, das „Gesetz über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik (Staatsbürgerschaftsgesetz)“, um die deutsche Teilung gänzlich zu vollenden. Der juristische „Geburtsfehler“ dieses Gesetzes wurde mit der Behauptung in der Präambel beiseitegewischt, dass angeblich mit der Gründung der DDR eine eigene Staatsbürgerschaft entstanden sei. Sie interpretierten den ursprünglichen Willen politisch zweckmäßig und rückwirkend um.

1967 war die DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949 noch in Kraft, und deren Text ließ eine solche nachträgliche Auslegung gar nicht zu. Artikel 1 lautete: „(1) Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik ... (4) Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit.“ Diese Verfassung war „unmittelbar geltendes Recht“, und Artikel 144 regelte: „Entgegenstehende Bestimmungen sind aufgehoben.“ Somit konnte das Staatsbürgerschaftsgesetz de jure 1967 gar nicht in Kraft treten.

Drei Möglichkeiten des Verlusts
Doch für den Umgang mit den fünf Rückkehrern aus dem Westen spielten diese juristischen Fragen gar keine Rolle, denn wichtige Details regelte Innenminister Friedrich Dickel in „Vertraulichen Verschlußsachen“ wie seiner oben auszugsweise zitierten Dienstvorschrift Nr. 032/78. Öffentlich war lediglich zu lesen, dass es drei Möglichkeiten gab, die „DDR-Staatsbürgerschaft“ zu verlieren: „Entlassung, Widerruf der Verleihung und Aberkennung“. Allerdings wurde den Bürgern verschwiegen, welche konkreten Gründe für eine solche Entscheidung vorliegen mussten und wie das Verfahren abzulaufen hatte, insbesondere, ob es einen Rechtsschutz und eine gerichtliche Nachprüfung geben würde.

Diese wichtigen Fragen regelte Dickel in drei umfangreichen „Vertraulichen Verschlußsachen“ vom 26. Februar 1968, 8. März 1977 und 20. Dezember 1978. Allerdings waren die Vorgaben so geheim, dass selbst die Gehilfen für die Umsetzung nur beschränkt eingewiesen wurden. Wörtlich: „Weitere Offiziere und Wachtmeister sind nur in dem Umfang mündlich zu informieren, wie das zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist.“

Intern wurde entschieden, dass die fünf Deutschen kein Recht auf Rückkehr hatten, und vor ihrem Rauswurf erwartete sie die „Aberkennung“ der „DDR-Staatsbürgerschaft“. Dazu war kein Gerichtsverfahren und auch keine Einbindung eines Rechtsanwaltes erforderlich. Der Innenminister wies an, dass der Leiter des Zentralen Aufnahmeheims die Antragsteller wie folgt mündlich zu informieren hatte:

„Sie haben insbesondere durch (kurze Begründung der Aberkennung der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik) die staatsbürgerlichen Pflichten gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik grob verletzt. Gemäß Paragraph 13 des Staatsbürgerschaftsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Februar 1967 in Verbindung mit Paragraph 1 Absatz 3 des Erlasses des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. August 1964 hat Ihnen der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik mit sofortiger Wirkung die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik aberkannt. Damit geht Ihnen das Recht auf Aufnahme in der Deutschen Demokratischen Republik verloren. Sie werden deshalb unverzüglich nach der westdeutschen Bundesrepublik/der besonderen politischen Einheit Westberlin ausgewiesen. Zur Beachtung: Gegen die Entscheidung des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik gibt es kein Rechtsmittel der Beschwerde.“

Eine weltöffentliche Lüge
In diesem verlesenen Text kam das Wort „demokratisch“ neun Mal vor. Das war eine Verhöhnung der Adressaten, denn sie hatten nicht einmal den Hauch eines Rechtsschutzes, und es stellt sich die Frage, wie diese Deutschen gegen ihren Willen abgeschoben wurden. Man hätte ihnen eine „Entlassungsurkunde“ aus der „DDR-Staatsbürgerschaft“ geben können. Doch das passierte nicht, denn dieses Verfahren war nur bei genehmigten Anträgen auf ständige Ausreise anzuwenden. Diese Antragsteller wollten nicht ausreisen, sondern unbedingt in der DDR bleiben.

Innenminister Dickel regelte in seiner „Vertraulichen Verschlußsache“ eine einfache Lösung für dieses Abschiebeproblem: „Personen, denen die Staatsbürgerschaft ... aberkannt ... wurde, sind von der Aufnahmestelle zurückzuweisen, zur Grenzübergangsstelle zurückzubringen und dem Diensthabenden Offizier der Paßkontrolleinheit zwecks Ausweisung zu übergeben. ... Erfolgt nach Aberkennung der Staatsbürgerschaft ... die Rückweisung ..., so sind der westdeutsche oder Westberliner Personalausweis und andere persönliche Dokumente ... zurückzugeben. (2) Rückweisungen beziehungsweise Rückführungen sind aus Sicherheitsgründen einzeln (außer Familien) über verschiedene Grenzübergangsstellen, nur bei vorliegender Notwendigkeit in kleineren Gruppen bis zu drei Personen, durchzuführen. Die Personen sind bis zu den Grenzübergangsstellen durch Volkspolizei-Angehörige zu begleiten.“

1982 nannten die SED-Funktionäre dieses Verfahren „Rückweisung“. In einer früheren „Vertraulichen Verschlußsache“ vom 22. Oktober 1960 bezeichnete Innenminister Karl Maron diesen Rauswurf als „Rückschleusung“. Damit praktizierten sie genau das, was sie den Fluchthelfern aus dem Westen in Schauprozessen immer als kriminelle Handlung anlasteten. Der Unterschied bestand lediglich darin, dass Fluchthelfer Personen transportierten, die selbst wegwollten und festgehalten wurden. Die SED-Funktionäre hingegen nutzen die „Rückweisung“ oder „Rückschleusung“ dazu, sich „unerwünschter Deutscher“ zu entledigen, allerdings so, dass niemand den Beweis über diese Verfahrensweise führen konnte, denn das internationale Ansehen war ihnen sehr wichtig.

1983, ein Jahr nach diesem menschenverachtenden Rauswurf, berichtete der DDR-Vertreter vor dem UN-Menschenrechtsausschuss: „Grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung von Menschen ist der sozialistischen Gesellschaftsordnung wesensfremd, widerspricht ihren Rechts- und Moralnormen und kommt in der Praxis nicht vor.“

Eine weltöffentliche Lüge, die ihre Wirkung allerdings bis heute nicht verfehlt, denn ein zunehmend schöngefärbter Rückblick auf die DDR ist nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland häufig anzutreffen.


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