23.04.2024

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Denunziantentum

Wie Bundesbürger die DDR mit Informationen versorgten

Ein ehrlicher Rückblick auf die letzte deutsche Diktatur kann nur gesamtdeutsch erfolgen. Freiwillige „Helfer“ des SED-Regimes gab es nicht nur im Osten, sondern auch im Westen

Heidrun Budde
04.11.2021

Die Gründe für versagte Besuchsreisen zwischen Ost und West wurden im SED-Staat nie offengelegt, und einen Klageweg gab es nicht. Heute zeigen die Akten auf, dass es auch „Helfer“ des Systems im Westen gab.

Im Dezember 1973 ging dieser anonyme Brief beim Oberbürgermeister der Stadt Rostock ein: „Liebe Genossen! Auf einer Versammlung der DKP – dessen aktives Mitglied ich bin – wurde über Republikflucht diskutiert, wobei wir übereinstimmend der Meinung waren, daß eine Flucht aus unserer D.D.R., und liegt sie noch so lange zurück, nicht verjähren sollte. Wenn eine Person, die vor gut 20 Jahren aus unserer D.D.R. geflüchtet ist, und noch die Dreistigkeit besitzt, jährlich 3-4 mal in die D.D.R. zu reisen, so sollte man da ein wachsames Auge für haben. Wie oben erwähnt, reist die unten genannte Person angeblich zu ihrem 62-jährigen Verlobten nach Rostock, wo derselbe in einem Hotel der D.D.R. tätig ist. Die genannte Person ... müßte unserer Meinung nach beim Betreten der D.D.R. vom Sicherheitsdienst mehr beschattet werden. Vermutlich wird sie zu den Osterfeiertagen in die D.D.R. fahren ... Um die DDR vor Schaden zu bewahren, wäre es sinnvoll die Nutznießerin auf Schritt und Tritt zu beschatten. Seine Genossen grüßt der Genosse von der D.K.P.“

Brief eines DKP-Mitgliedes

Diese dummdreiste Denunziation konnte für die Frau aus der Bundesrepublik unterschiedliche Folgen haben. DDR-Innenminister Friedrich Dickel ordnete in der Dienstvorschrift Nr. 015/72 über vertrauliche Regelungen im grenzüberschreitenden Personenverkehr vom 12. September 1972 (Vertrauliche Verschlußsache I 020 488) Einreisesperren für Bundesbürger an: „Die Erteilung von Genehmigungen zur Einreise in das Hoheitsgebiet der DDR kann außerdem gesperrt werden ... für Personen, bei denen der begründete Verdacht besteht, daß sie bei einem Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit erheblich stören oder sie ihren Aufenthalt in der DDR zu rechtswidrigen Zwecken mißbrauchen werden.“

Doch selbst, wenn die Frau keine „Einreisesperre“ bekam und ihren Partner in der DDR besuchen durfte, so blieb mit Sicherheit nichts verborgen, denn der Innenminister unterstellte Verlöbnissen und Liebesbeziehungen Ost-West per se die Planung einer „Republikflucht“. Das belegt sein Befehl Nr. 0059/74 vom 21. Februar 1974 (Geheime Verschlußsache I 020597).

„Vorbereitungshandlungen“ für ein „ungesetzliches Verlassen“ der DDR konnten sich demnach „aus Beziehungen verschiedenster Art zu Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin ergeben, wie z. B. aus ... Verbindungen zu Verwandten und Bekannten, die in ,sogenannten' gesicherten sozialen Verhältnissen leben, ... Verlöbnisse oder Liebesverhältnisse, abgelehnten Anträgen auf Reisen und Passierscheine, Übersiedlungen und Eheschließungen ...“.

Westbesuche wurden heimlich argwöhnisch kontrolliert. Dazu wörtlich im Befehl Nr. 0059/74: „Durch zielgerichteten Einsatz aller Kräfte und Mittel sowie die Nutzung aller operativen Möglichkeiten sind Vorbereitungshandlungen zu ... ungesetzlichem Verlassen der DDR rechtzeitig aufzudecken, allseitig aufzuklären und zu untersuchen.“ In der Anlage 3 des Befehls wird deutlich, wer die Informationen liefern sollte: „Zur Lösung dieser Aufgaben haben insbesondere ... die ABV eng mit den freiwilligen Helfern der Deutschen Volkspolizei, den Hausbuchbeauftragten und anderen gesellschaftlichen Kräften im Wohngebiet zusammenzuarbeiten.“

Die so gesammelten Informationen der Polizei müssen umfangreich gewesen sein, denn Westreisen von DDR-Bürgern wurden nur unter der Bedingung genehmigt, dass bei „Einreisen von Verwandten aus der BRD, Westberlin bzw. aus dem übrigen nichtsozialistischen Ausland keine die sozialistische Entwicklung in der DDR negierende Verhaltensweise zutage getreten ist“. (Anlage 1 der Anweisung Nr. 157/76 des Innenmisters über Ausreisen von Bürgern der DDR nach der BRD und Westberlin vom 24. September 1974 (Vertrauliche Verschlußsache I 020 784)).

Bitte um Einladung in die DDR

Belauschte systemkritische Diskussionen mit Westbesuchern, offen angesprochene Missstände oder Protest gegen eine schikanöse Behandlung durch die Polizei, beispielsweise beim Zwangsumtausch des Geldes, konnten dazu führen, dass die DDR-Bürger später nicht an einer Beisetzung, einer Hochzeit oder an einem runden Geburtstag in der Bundesrepublik teilnehmen durften, weil die Antragsteller als nicht „absolut politisch zuverlässig“ eingeschätzt wurden.

Die Akten belegen, dass es auch einen Informationsfluss von West nach Ost gegeben haben muss, denn DDR-Bürger konnten aus diesen Gründen mit einer „Ausreisesperre“ belegt werden: „Die Erteilung von Genehmigungen zur Ausreise aus der DDR kann gesperrt werden: a) für Bürger der DDR, die durch ihr Verhalten außerhalb der DDR das Ansehen unseres Staates erheblich schädigten ... c) für Bürger der DDR, die eine Reise nach anderen Staaten bzw. nach Westberlin zu unberechtigter Weiterreise nutzten“ (Dienstvorschrift Nr. 015/72).

Diese Regelung schließt ein, dass der SED-Staat über Informanten im Westen verfügte, die das „Verhalten“ der Ostbesucher kritisch „auswerteten“ und die darüber informierten, wenn westdeutsche Gastgeber gemeinsam mit ihnen beispielsweise Ausflüge nach Frankreich oder den Niederlanden unternahmen. Erste Nachforschungen über Zuträger im Westen sind inzwischen bekannt. Wie einfach es war, Bundesbürger zu rekrutieren, offenbart ein Brief, den ein Ehepaar aus Offenbach am 27. Dezember 1974 an den Oberbürgermeister der Stadt Rostock schickte:

„Werte Freunde! Ich frage an, ob es möglich wäre, meine Frau und mich zu einem Aufenthalt in die DDR einzuladen. Wir sind ein älteres Ehepaar (55/59), von untadeligem Lebenswandel und haben durch Klassenjustiz, Wucherzinsen und einer Kette fast unglaublicher Geschehnisse unser Eigentum und Vermögen verloren. Obwohl es nachweisbar leicht gewesen wäre zu helfen, wurden wir völlig zerschlagen. Zur selben Zeit fehlten in den Kassen der Banken über 7 Milliarden DM, durch Spekulation und Diebstahl, aber hier wurde geholfen. Es gab nicht einen einzigen Haftbefehl. Wir sind seit jeher Freunde der DDR und möchten in Gesprächen informieren und informiert werden.“

Ob dieses „Angebot“ aus Offenbach angenommen wurde, ergibt sich aus der Akte nicht. Der Brief wurde vom Oberbürgermeister an die Abteilung Inneres der Stadt weitergeleitet und letztlich wird es die Staatssicherheit gewesen sein, die die „Nützlichkeit“ der westlichen Anbiederung überprüfte.

Die Aktenlage zeigt auf, dass ein ehrlicher Rückblick auf die letzte deutsche Diktatur nur gesamtdeutsch erfolgen kann. Dabei reicht die Fokussierung allein auf die Staatssicherheit nicht aus. Es gab zudem freiwillige „Helfer“ der Systems, nicht nur in Ost, sondern auch in West.

• Dr. Heidrun Budde (geboren 1954 in der DDR) war von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock. Zu ihren Büchern gehört „Verstorbene Babys in der DDR? Fragen ohne Antworten“ (tredition 2020)


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Kommentare

Jan Kerzel am 06.11.21, 18:20 Uhr

Solche schwarz-weiß Darstellungen bedienen schablonierte Vorurteile und sind substanzlos. Leider in der PAZ ein echter Klassiker und speziell an die Alt-CDUler in der Leserschaft gerichtet. Kontextlos herausgelöst, als ob man mit der DDR noch ideologisch ringen müsste . Mit solchen Artikeln mutiert man zum Vertriebenen-Blättchen, Richard Löwenthal sel. lässt grüßen. Das Gegenteil von konservativ ist nicht links, sondern reaktionär.

Marcus Junge am 04.11.21, 18:07 Uhr

"Ein ehrlicher Rückblick auf die letzte deutsche Diktatur"

Sorry, kein Interesse an fiktionalem Lesestoff, die BRD ist eine aktive "deutsche" Diktatur und leider lange nicht Geschichte und die "letzte".

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