28.07.2025

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Ein mit Laternen geschmückter Prunkwagen des Gion-Matsuri in Kyoto: Über eine hölzerne Brückenkonstruktion (ganz links)  steigen einheimische Festivalbesucher von einem Wohnhaus aus in das historische Vehikel hinein
Bild: twsEin mit Laternen geschmückter Prunkwagen des Gion-Matsuri in Kyoto: Über eine hölzerne Brückenkonstruktion (ganz links) steigen einheimische Festivalbesucher von einem Wohnhaus aus in das historische Vehikel hinein

Japanisches Festival

Wie Karneval ohne Kamellen

Im Juli feiert Kyoto das Gion-Matsuri – Das aus dem Mittelalter stammende Fest ist Teil des immateriellen Kulturerbes der Unesco

Harald Tews
28.07.2025

Die Expo in Osaka ist in diesem Jahr ein guter Grund, um nach Japan zu reisen. Die Weltausstellung zeigt das übliche Potpourri aus Zukunftsträumen, Fortschrittsglauben und globalisierter „Nachhaltigkeit.“ Das Kontrastprogramm dazu läuft derzeit 50 Kilometer entfernt in der direkt nördlich angrenzenden Millionenstadt Kyoto. Hier findet ein Fest statt, das ursprünglicher nicht sein könnte.

Das den gesamten Juli andauernde Gion-Matsuri gilt als größtes Volksfest Japans und ist wegen seiner jahrhundertelangen Tradition Teil des immateriellen Kulturerbes der Unesco. Im Prinzip ähnelt es den Karnevalsumzügen in Deutschland, nur dass keine Kamellen geworfen werden. Aber auch hier werden Prunkwagen durch die schachbrettartig angelegten Straßen geleitet. Der Unterschied zu Köln, Düsseldorf oder Mainz: Nicht Traktoren bewegen diese tonnenschweren Wagen durch die Innenstadt, sondern Menschen. Bis zu 50 traditionell gekleidete Personen sind nötig, um die bis zu zwölf Tonnen schweren und zum Teil über 20 Meter hohen, zweistöckigen Holzwagen an Seilen vorwärtszuziehen. Wieder andere tragen an zwei Festtagen nicht minder schwere Schreine auf ihren Schultern, so wie man es von der Semana Santa in Sevilla kennt.

Das Gion-Matsuri hat einen vergleichbaren religiösen Hintergrund. Es ist Teil eines alten Reinigungsrituals, um die Götter zu besänftigen, welche – so glaubt man – das ganze Land und seine Bewohner mit Feuersbrünsten, Tsunamis und Erdbeben bestraften. Im Jahr 869 kam in Kyoto noch eine Pest hinzu. Der in der damaligen Kaiserstadt residierende Tenno Seiwa ordnete daraufhin an, dem Gott des Yasaka-Schreins, einer am östlichen Rand der Stadt gelegenen Shinto-Stätte, auf besondere Weise zu huldigen. Man stellte 66 Lanzen auf, je eine für die entsprechende Anzahl der japanischen Provinzen. Sie trugen einen „Mikoshi“, einen tragbaren Schrein, auf den der Geist des göttlichen Beschützers der heiligen Yasaka-Stätte übergegangen sei. In späteren Jahren trug man diesen heiligen Geist durch die Straßen, damit dieser die Stadt vor weiteren Seuchen bewahrt.

Einige der Umzugswagen weisen eine Bootsform auf. Das geht auf die Sage zurück, wonach ein Junge als Gottesbote mutig den Kamo-Fluss überquert haben soll, der den Yasaka-Schrein von der Stadt trennt. Alljährlich wird ein „heiliges Kind“ aus Kyoto gewählt, das hoch auf einem Wagen die Parade anführt, wobei es während der ganzen Zeit mit den Füßen niemals die Erde betreten darf.

Eintritt über eine Privatwohnung
Die zum Teil uralten, immer wieder restaurierten Ungetümer mit ihren bis zu zwei Meter großen Holzrädern, von denen viele rundum mit Laternen dekoriert sind, gelten unter den Bewohnern Kyotos als Besucherattraktion. Vor dem Umzug stehen sie geduldig Schlange, um für kurze Zeit die Wagen betreten zu dürfen. Wegen der Höhe der Vehikel geht das nicht von ebener Erde aus. Die Wagen werden im Zentrum der Stadt vor Wohngebäuden abgestellt, von wo aus man sie über den ersten Stock des Hauses erreichen kann.

So kurios es klingt, so perfekt ist es organisiert. Gegen eine geringe Geldspende bekommt der Gast vorm Wagen als Eintrittskarte eine Präsenttüte, die unter anderem gegen die schwülwarme Sommerluft einen wohltuenden Fächer enthält, und kann sich in die langsam voranschreitende Schlange einreihen. Am Eingang zieht man die Straßenschuhe aus und Filzpantoffel an, geht die Treppe hoch in den ersten Stock, betritt eine Privatwohnung und besteigt über ein Verandafenster sowie eine mit hölzernen Stufen zur Überwindung der Balkonmauer angelegte Brückenkonstruktion den Festwagen.

Oftmals sitzt in den Wagen eine Gruppe Flötenmusiker und Trommler, welche die Menge mit folkloristischer Musik und Gesang unterhält. Doch auf den Wagen ist Platz genug für Besucher, die eifrig die Kameras für Selfies zücken, um später stolz zeigen zu können, dass sie Teil dieses historischen Ereignisses waren.

Während des Festivalmonats setzen sich die Wagen – gezogen von den „hikite“, den „ziehenden Händen“ – nur zwei Mal in Bewegung, dann natürlich ohne die Besucher. Die meiste Zeit stehen sie in den fürs Fest gesperrten Straßen und sind umgeben von Essensständen, Musik und Tausenden von Festivalteilnehmern. Ende Juli endet das Spektakel mit der rituellen Waschung der Schreine mit heiligem Wasser aus dem Kamo-Fluss.

Dorthin und zum Yasaka-Schrein zieht es in dieser Zeit viele Einheimische. Der Weg führt für die meisten durch den Nishiki-Markt hindurch. Dabei handelt es sich um eine rund 400 Meter lange überdachte, enge Fußgängerzone, in der das Leben zwischen den unzähligen Spezialitätenläden nur so tobt. Kaum dem Gedränge entronnen, erreicht man den Kamo, einen gar nicht mal sehr breiten Fluss, hinter dem sich gleich das historische Gion-Viertel anschließt, in dem viele im traditionellen Kimono gekleidete Geishas ihre Unterhaltungskünste anbieten. Doch Vorsicht: Fotografieren ist nur mit ausdrücklicher Einwilligung erlaubt.

Nach einem kurzen Treppenanstieg steht man dann vor dem bunten Yasaka-Schrein. Obwohl dieser geschichtsträchtige Ort das Gion-Matsuri hervorbrachte, zählt er nicht zum UNESCO-Weltkulturerbe „Historisches Kyoto“, das seit 1994 in und um Kyoto herum 17 religiöse und weltliche Stätten umfasst. Eine solche lässt sich aber nach einem zehnminütigen Fußmarsch rasch erreichen. Man muss durch schmale Gassen hindurch nur dem Besucherstrom folgen. Vorbei an der auffälligen Yasaka Pagoda geht es einen Anstieg hoch zum buddhistischen Tempel Kiyomizu-dera mit seinen kunstvoll geschwungenen Dachkonstruktionen. Von der auf einer Anhöhe gelegenen riesigen Haupthalle aus dem 17. Jahrhundert hat man dann einen phänomenalen Blick auf das derzeit noch Festival-trunkene Kyoto.


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