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„Wir, alle Ungarn, haben die Pflicht, uns zu erinnern“

Ungarn ist das einzige Land mit einem eigenen Gedenktag für die vertriebenen, deportierten und ermordeten Deutschen. Bei der Festveranstaltung in München ging es diesmal um deutschungarische Kirchenmusik

Norbert Matern
12.05.2022

Im Gegensatz zu Polen und der Tschechoslowakei war bei den Konferenzen der Alliierten in Jalta vom 4. bis 11. Februar und Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945 zunächst nicht an eine Vertreibung der Deutschen aus Ungarn gedacht worden. Auf Drängen der kommunistischen Partei in Budapest kam es dann aber beginnend im März 1945 und in größerem Umfang ab dem 19. Januar 1946 zur Vertreibung von Ungarndeutschen vor allem nach Südwestdeutschland. Als die US-Amerikaner in ihrer Zone niemanden mehr aufnehmen wollten, gelangten etwa 50.000 Ungarndeutsche in die sowjetische Besatzungszone. 20.000 kamen nach Österreich. Insgesamt mussten rund 210.000 Ungarndeutsche ihre Heimat verlassen.

In Ungarn verbleiben durften 100.000 Ungarndeutsche, auf deren Arbeitskraft der Staat nicht verzichten wollte. Sie waren entrechtet und galten bis 1950 als staatenlos.

Ursprünglich nicht vorgesehen

Bereits kurz nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in der östlichen Hälfte Europas entschuldigten sich in Budapest im Gegensatz zu Warschau erst das Parlament und später auch die Regierung offiziell für die Vertreibung. Seit einem einstimmigen Beschluss des ungarischen Parlaments im Jahre 2012 ist Ungarn das erste und bislang einzige Land, das mit dem 19. Januar den bei und nach Kriegsende vertriebenen, deportierten und ermordeten Deutschen einen eigenen jährlichen Gedenktag gewidmet hat. Mit der Entscheidung für einen besonderen Gedenktag kam Budapest sogar Berlin zuvor, das sich erst drei Jahre später dazu durchrang, den 20. Juni als Tag des Erinnerns an Flucht und Vertreibung zu bestimmen.

Wegen Corona verspätet lud dieses Jahr der ungarische Generalkonsul in Bayern, Gabor Tordai-Lejko, zusammen mit dem Direktor des „Hauses des Deutschen Ostens“, dem Professor Andreas Otto Weber, für vorletzten Dienstag zu einer Gedenkveranstaltung im Adalbert-Stifter-Saal des „Sudetendeutschen Hauses“ in München ein. Der Generalkonsul begann seine Ansprache mit Versen der ungarndeutschen Dichterin, Pädagogin und Philosophien Valeria Koch: „Man hat uns betrogen, vertrieben, wir wollen vergeben den Trieben belogener Freunde und Feinde: Vertrauen bestrahlt die Gemeinde.“

Tordai-Lejko sparte nicht mit Lob und Anerkennung für die Ungarndeutschen, auf die der Staat stolz sei, die er wertschätze. Auch weiterhin würden ihre Bildungseinrichtungen stark unterstützt. „Die Verschleppung der Deutschen ist ein unrühmliches Kapitel der Nachkriegszeit – heute jedoch erlebt in Ungarn die Pflege deutscher Nationalität eine Renaissance.“ Die Hauptsorge aber gelte derzeit den 650.000 Flüchtlingen, die sein Land aus der Ukraine erreicht hätten.

Einfluss der KP

Olivia Schubert, stellvertretende Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, gedachte in ihrem sehr persönlich gehaltenen Redebeitrag zur Gedenkveranstaltung der Heimatverbliebenen mit Blick auf ihre eigenen Großeltern. Ungarndeutsche lebten im ganzen Land, zweisprachige Ortsschilder bewiesen das. „Wir, alle Ungarn, haben die Pflicht, uns zu erinnern.“

Nach Meinung von Georg Hodolitsch, Vorsitzender der Bundesdelegiertenversammlung der Ungarndeutschen in der Bundesrepublik, ist der Regierung Orbán von den insgesamt 13 Minderheiten die deutsche als die zweitgrößte nach den Roma am wichtigsten, auch wenn sie bei rund 185.000 Mitgliedern im Parlament nur einen Abgeordneten stelle. Er gehöre Orbáns Fidesz an. Nach dem im Königreich Ungarn geborenen, aber eigentlich als österreichischer Schriftsteller geltenden Nikolaus Lenau sei das Kulturzentrum in Fünfkirchen (Pecs) benannt. Dort befinde sich auch die Schulzentrale – vom Kindergarten bis zum Gymnasium. „Wir feiern mit heißen, versöhnenden Tönen“, heiße es auf einer Inschrift.

Entschuldigung nach der „Wende“

Nachdem 2019 der Beitrag der Ungarndeutschen zur ungarischen Kultur im Mittelpunkt der traditionellen Gedenkveranstaltung gestanden hatte, sollte in diesem Jahr ein Aspekt davon besonders behandelt werden, die Kirchenmusik der Ungarndeutschen. Zu dem Thema hielt Franz Metz den Kurzvortrag. Der Organist, Musikwissenschaftler und Dirigent gilt als ausgewiesener Experte der deutschen Musikgeschichte in Südosteuropa. Bis zu seiner Aussiedlung nach Deutschland 1985 war er als Kirchenmusiker und Organist in Temeswar tätig. Längere Zeit war er Organist auf der Burg Hohenzollern und Stiftskantor in Hechingen. Seit 2000 ist er Organist an der Kirche St. Pius in München.

In dem von ihm gegründeten Münchner Verlag „Edition Musik Südost“ hat er Werke vieler Banater und südosteuropäischer Komponisten herausgegeben. Zu seinen zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen gehören „Eine Reise in den Orient. Johann Strauß und seine Konzerte im Banat, in Siebenbürgen und in der Walachei“ aus dem Jahr 2021 und „Mit frohem Herzen will ich singen. Zur Musikgeschichte der Ungarndeutschen“ aus dem Jahr 2020. Aus letztgenanntem Werk las denn auch der Referent.

Verspätung wegen Corona

Das erste deutsche Liederbuch sei 1696 aus Landshut zu den „Donauschwaben“ gekommen. Erwähnt wurden die den Ungarndeutschen vertrauten Kirchenmusiker wie Franz Krommer, Franz Novotny oder Georg Lickl, vorgestellt wurden berühmte Orgeln und ihre Erbauer. Neuerdings stünden auch die ungarischen Domarchive für die musikwissenschaftliche Forschung zur Verfügung. Anhand vieler Bilder konnte Metz beweisen, dass deutschsprachige Denkmäler und Inschriften in den ungarischen Kirchen nicht beseitigt wurden ­– im Gegensatz zu denen in der Republik Polen und der Tschechischen Republik. Metz erinnerte daran, dass es in Ungarn 19 ungarndeutsche Kirchenchöre gibt, bei deren Veranstaltungen bis zu 400 Sänger und ihre Blaskapellen mit deutschen wie ungarischen Volks- und Kirchenliedern auftreten.

Nach seinem Vortrag brillierte der aus Rumänien stammende, Ungarn sehr verbundene und heute in München lebende Wissenschaftler an der Orgel mit der Einleitung von Franz Liszts Oratorium „Die Legende von der Heiligen Elisabeth“. Dass diese sowohl eine ungarische Prinzessin als auch eine deutschen Landgräfin war, machte das Stück besonders geeignet für eine Veranstaltung der deutsch-ungarischen Verständigung.


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Kommentare

sitra achra am 16.05.22, 16:50 Uhr

Das Kapitel Ethnozid an den Deutschen in Ost-, Mittelosteuropa und dem Balkan wird eines nichts so fernen Tages ehrlich und gründlich aufgeschlagen werden, dessen bin ich mir sicher.
Den sympathischen Ungarn gehört vorab unser Dank für ihre Empathie.

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