02.05.2024

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Am Eröffnungstag: Besucher studieren aufmerksam die Schautafeln der Ausstellung „Stillgeschwiegen!“
Foto: PekrulAm Eröffnungstag: Besucher studieren aufmerksam die Schautafeln der Ausstellung „Stillgeschwiegen!“

Zentrum gegen Vertreibung

Zeitdokumente betroffener Menschen

Die Ausstellung „Stillgeschwiegen!“ zeigt, wie Vertriebene in der DDR bis zum Mauerfall lebten

Jörn Pekrul
05.04.2024

In Berlin findet derzeit eine Ausstellung statt, die bisher wenig bekannte Informationen über das weitere Schicksal der Heimatvertriebenen vermittelt. Im Konferenzraum des DDR Museums an der Spree erzählt die renommierte Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ vom Ankommen und Leben der rund 4,3 Millionen deutschen Heimatvertriebenen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Deutschlands respektive der späteren DDR. Ihre Geschichte wurde mehr als vier Jahrzehnte lang verschwiegen und auch aus staatlich-ideologischen Gründen tabuisiert. Insofern ist der Titel der Ausstellung als Imperativ aus dieser Zeit zu lesen: „Stillgeschwiegen!“. In dieser Ausstellung kommen sie zu Wort: die betroffenen Menschen. Sie erzählen aus Zeitdokumenten, die auf gut lesbaren Schautafeln präsentiert sind.

Die Ausstellung folgt der Chronologie. Als Einführung werden die Ursachen der Vertreibung und die ostdeutschen Herkunftsgebiete jenseits von Oder und Neiße, dem Sudetenland, aber auch aus Polen und der damaligen UdSSR beschrieben. Die verschiedenen Strategien der Alliierten für die Aufnahme der Vertriebenen werden vorgestellt sowie die Frage der Reparationen und die Gründung der DDR betrachtet.

Vertriebene als Verwaltungsproblem
In der „SBZ/DDR“ wurden die Vertriebenen – ebenso wie in den westlichen Besatzungszonen – als Verwaltungsproblem angesehen. Die Aufnahme und Versuche der Eingliederung erfolgten in der SBZ parallel zur Bodenreform, die im Wesentlichen den „Großgrundbesitz“ auf Kleinbauern aufteilte. Erste Sprachregelungen wurden festgesetzt: „Umsiedler“ statt „Vertriebene“, später Stillschweigen und geforderte beziehungsweise erzwungene Anpassung.

Dieser dritte Teil der Ausstellung reflektiert die Fremdbezeichnung und die Selbstwahrnehmung der Vertriebenen sowie das Schicksal der Schwächsten unter den Vertriebenen: der Kinder und Frauen. Die Konflikte zwischen Kirche und Partei werden geschildert. Wer kennt heute noch den mutigen Pfarrer Oskar Brüsewitz (geb. 1929) aus dem Memelland? 1976 klagte er in einer selbstständigen Aktion in Zeitz die Kirchenpolitik des Regimes an und steckte sich selbst in Brand, eine Tat, an deren Folgen er kurz darauf verstarb. Auch an sein Schicksal wird in diesem Abschnitt erinnert. Das Leben der Vertriebenen im SED-Staat wird aus vielen Blickwinkeln geschildert, so beispielsweise die Auswirkungen der Entstehung der sogenannten Oder-Neiße-Friedensgrenze von 1950 oder konspirative Vertriebenentreffen im Leipziger Zoo. Sie wurden argwöhnisch vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet, waren aber dennoch schwer beziehungsweise gar nicht zu unterbinden.

In einem weiteren Kapitel werden Vertriebene vorgestellt, die einen wesentlichen Bestandteil der DDR-Literatur ausmachten wie Anna Seghers oder Christoph Hein. Andere wurden zu öffentlichen Persönlichkeiten wie Ursula Karusseit, Urte Blankenstein oder Kurt Masur. Auch politische Funktionsträger brachten die Vertriebenen hervor wie Günter Mittag, Hans Modrow oder Egon Krenz. Viele weitere Biographien werden in informativen Skizzen vorgestellt. Als Abschlusskapitel wird die Vereinigung 1990 und die Erinnerungskultur nach dem Mauerfall betrachtet.

Insgesamt ist „Stillgeschwiegen!“ eine sehr lohnenswerte Ausstellung. Die Informationen wurden mit Fachkompetenz und in einer schlüssigen Reihenfolge kuratiert. Die Schautafeln sind angenehm zu lesen und mit vielen Illustrationen ergänzt. Doch das Wichtigste ist ihre Sachlichkeit. Neben den Schwierigkeiten werden auch positive Aspekte gewürdigt. Die Beschreibungen weisen keine tendenziöse oder gar von außen angemaßte Sichtweise auf. Das komplexe und auch emotional aufgeladene Thema ist behutsam aufgenommen worden zum Zwecke der Information.

Sachlich und kompetent kuratiert
Der Ausrichter, das Zentrum gegen Vertreibung, ist eine im Jahr 2000 in Wiesbaden gegründete Stiftung. Ihr Ziel ist die Dokumentation von Vertreibungen in Europa im 20. Jahrhundert. Diese Grundidee wurde in den letzten Jahren entwickelt und führte bereits zu Wanderausstellungen, die von der Fachwelt wegen ihrer Ausgewogenheit und der angemessenen Gewichtung gelobt wurden.

In Berlin findet bis zum 20. April 2024 der Auftakt zu dieser Ausstellung statt. Sie wird danach als Wanderausstellung in verschiedene deutsche Städte gehen. Die Berliner Präsentation im Konferenzraum des DDR-Museums ist ideal, denn beide Sammlungen, so unterschiedlich sie sind, lassen sich aufgrund des übergeordneten Themas der Wirklichkeit in der DDR gut ergänzen.


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Kommentare

Lutz Maximilian am 07.04.24, 07:30 Uhr

Es gab ausser Oskar Brüsewitz noch einen aus Ostpreusssen stammenden Pfarrer, der aus Verzweifung diesen Weg beschritten hat... an ihn wird nie erinnert.

Roland Weisselberg

1933-2006

Kersti Wolnow am 06.04.24, 06:40 Uhr

Die Oder-Neiße Grenze kann erst zur Friedensgrenze werden, wenn die Wahrheit auf dem Tisch liegt. Die Vertreibung ist ein historisches Verbrechen aller Siegermächte gegen uns Deutsche. Diese Schuld ist weder aufgearbeitet noch materiell und moralisch entgolten. Wer diese Selbstverständlichkeit einfordert, ist an der Wahrheit interessiert und kein Revisionist. Freiheit gibt es nur durch Wahrheit, aber 79 Jahre nach diesem Verbrechen wird von allen Seiten immer noch gelogen, besonders in der bRD, deren Schönredner besondere Verachtung verdienen. Übrigens hat sich Polen mit Billigung der UdSSR 1945 entgegen dem Potsdamer Abkommen schnell noch die Hafenstadt Stettin geraubt.
Und wenn jetzt alle besoffen von Glück den Kunststaat EU preisen, der wird enttäuscht, denn der wird wie die UdSSR nicht überleben. Man kann Völker auf Dauer nicht in Kunstgebilde einzwängen und ihnen einreden, alle zusammen sind glücklich. Das klappte auch mit Jugoslawien nicht. Völker wollen sich selbst bestimmen, sie wollen ihre Tradition und Sprache aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte. Polen und Deutsche haben keine gemeinsame Geschichte. Polen leben auf dem Land meiner Vorfahren. Unrechtmäßig.

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