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Ostseehochwasser von 1872 riss das kleine Dorf Damerow fort
Sie muss den Bewohnern der südlichen Ostseeküste wie die Apokalypse, wie die biblische Sintflut vorgekommen sein. Am 13. November 1872, vor 150 Jahren also, peitschte ein Orkan aus Nordost die Ostsee so verheerend gegen pommersche, mecklenburgische, schleswig-holsteinsche und süddänische Küstengestade, dass noch heute da und dort Denkmäler von der Katastrophe künden. Das Inferno kostete mindestens 271 Menschenleben. Es zerstörte tausende Gebäude und hunderte Schiffe. Außerdem soll Vieh in großer Zahl umgekommen sein. Weite Teile küstennahen Acker- und Wiesenlandes waren mit Seesand zugeschwemmt.
Die Novemberflut von 1872 wird als schlimmste aller Hochwasserkatastrophen im südlichen Ostseeraum bezeichnet, und von denen ereigneten sich im Laufe der Geschichte viele. Doch die Flut forderte nicht nur Menschenleben und materielle Güter, sondern veränderte auch die Gestalt des Küstenlandes.
Usedom mit veränderter Topographie
Die vorpommersche Insel Usedom etwa erhielt durch das dramatische Naturereignis für kurze Zeit eine andere Topographie. Das kam so: Die Wogen brandeten nach ihrem 1000 Kilometer weiten Lauf von Nordskandinavien und dem nördlichen Baltikum im direkten Winkel auf die Strandlinie. Zwischen den Orten Zempin und Koserow wird die Küste vom Achterwasser nur durch eine 300 Meter schmale Landenge, auf der heute die B 111 entlangführt, getrennt. Und genau in diesem sensiblen Bereich überwand die aufgepeitschte See in der Nacht zum 13. November, ein Mittwoch, die schützende Dünenbarriere. Sie ergoss sich als mehrere hundert Meter breiter Schwall ins Achterwasser und zerschnitt die Insel in einen nordwestlichen und einen südöstlichen Teil.
Das war auch bei früheren Hochwassern schon passiert, aber nicht mit so existenziellen Folgen für das kleine Dorf Damerow. Das stand dem reißenden Strom im Weg und wurde von ihm fortgespült. Temperaturen nur wenig über dem Gefrierpunkt, Schnee und Hagel begleiteten das grausige Geschehen in nächtlicher Finsternis.
Im Februar 1874 wiederholte sich die Unbill, allerdings in etwas schwächerer Form. Felder und Wiesen waren danach aber knietief mit Schlick und Sand bedeckt und für die Landwirtschaft zunächst unbrauchbar geworden. Die Lücke zwischen den Inselteilen wurde später durch umfangreiche Baumaßnahmen geschlossen, von einer Wiedererrichtung des verwüsteten Dorfes aber sah man ab. Ein Denkstein an der B 111 erinnert an das Schicksal von Damerow.
Übel mitgespielt hat die Katastrophe auch dem Fischerdorf Wieck am Greifswalder Bodden, wo das Hochwasser einen Teil der Häuser einstürzen ließ und andere stark beschädigte. Die Flut soll Balkenwerk und Hausgerät bis nach Greifswald getragen haben. Neun Menschen starben.
Regelrecht zerschnitten wurde auch Rügens Schwesterinsel Hiddensee, als die Macht der schäumenden See bei Neuendorf den südlichen Inselteil sechs Meter tief vom höher gelegenen nördlichen Teil abtrennte. Ähnlich erging es der Halbinsel Darß, die nach einem Durchbruch bei Zingst ihren östlichen Teil einbüßte. Auf der Weideinsel Großer Kirr ertranken fünf Personen, in Prerow, dem Küstenort einige Kilometer westlich von Zingst, waren es sogar 15.
Tod und Zerstörung
Wie kam es zu einer so schweren Katastrophe, bei der es sich ja um keine Gezeitensturmflut handelte, wie von der Nordsee bekannt, sondern um ein durch Wind hervorgerufenes Hochwasser, das aber ebenfalls enormes Zerstörungspotenzial birgt. Meistens fallen einige Faktoren zusammen. So hatte vor dem 13. November tagelang zum Teil heftiger Südwestwind geweht und das Ostseewasser weit nach Norden gedrückt, was zu erheblichem Niedrigwasser an den Südküsten führte. Skagerrak und Kattegat füllten das Pegeldefizit aber auf, womit sich alsbald mehr Wasser im Ostseebecken sammelte, als es seine Ufer zu halten vermochten.
Am 10. November soll sich Windstille eingestellt haben, und der entwuchs zwei Tage später ein fürchterlicher Orkan aus Nordost, der in den frühen Morgenstunden des 13. November seinen Gipfelpunkt erreichte. Er warf das viele Wasser mit aller Wucht auf die südlichen Küstenstriche. Die Zerstörungen an der pommerschen Küste waren immens. Mit 99 die meisten Menschenopfer hatten aber die südlichen dänischen Inseln zu beklagen. Die höchsten Pegelstände verzeichneten indes Städte an der Küste Schleswig-Holsteins. In Eckernförde etwa wurden kaum vorstellbare 3,76 Meter über Normalnull gemessen.